Presseerklärung der MHG
Folgende gegen das whk gerichtete Presseerklärung gab die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (MHG) zu Berlin am 22. 12. 2002 heraus. Sie enthält nicht nur völlig absurde und als solche infame Anschuldigungen, sondern verdreht konsequent Ursachen und Wirkungen. Zur Richtigstellung wurden die betreffenden Passagen mit Anmerkungen in blauer Schrift versehen.Diffamierung homosexueller NS-Opfer beenden
Magnus Hirschfeld Gesellschaft fordert würdigen Umgang mit den im Nazi-Regime getöteten Homosexuellen
Die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft hat die Berliner Vertreter vom "wissenschaftlich-humanitären-komitee" (whk) aufgefordert, ihre Verleumdungskampagne gegen homosexuelle NS-Opfer einzustellen.
Dies ist falsch. Das whk hat bis dato kein entsprechendes Schreiben bzw. keine Email der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft erhalten, sondern nur diese Presseerklärung.
"Homosexuelle NS Opfer namentlich zu nennen, um ihr Andenken öffentlich in den Schmutz zu treten, kommt einer zweiten Verurteilung gleich", kritisierte der Historiker Andreas Pretzel das Vorgehen des whk.
Das whk hat die Patenschaft über einen Gedenkstein für ein homosexuelles NS-Opfer beim zuständigen Heimatmuseum Friedrichshain-Kreuzberg beantragt, übernommen und diesen auch finanziert. Kern dieses Projektes "Stolpersteine" ist es, den bislang anonymen Opfern ihren Namen zurückzugeben. Der Vorwurf, das whk habe eben dies getan, um das Andenken von NS-Opfern in den Schmutz zu treten, kann nur als Denunziation verstanden werden.
"Für eine individuelle Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung bedarf es der Betrachtung der Lebensgeschichten und Verfolgungsschicksale in all ihren Facetten", sagte Andreas Pretzel, der seit fünf Jahren zur Homosexuellenverfolgung forscht und publiziert. Pretzel recherchiert zur Zeit im Auftrag der internationalen Pink Triangle Coalition für ein Berliner Totenbuch der Homosexuellenverfolgung. Erste Forschungsergebnisse konnten u.a. für Veranstaltungen in der Gedenkstätte Sachsenhausen, für die Errichtung eines Mahnmals der Homosexuellenverfolgung und für das Berliner Gedenkprojekt der "Stolpersteine" genutzt werden. Diese Form der Erinnerung wurde nun zum Stein des Anstoßes.
Dies ist falsch. Zum "Stein des Anstoßes" wurde für das whk der unwürdige Umgang von MitarbeiterInnen des Heimatmuseums Friedrichshain-Kreuzberg mit den Opfern und auch ihren Lebensläufen sowie den Paten der "Stolpersteine".
Die "Stolpersteine" gehen auf Initiative des Künstlers Gunter Demnig zurück, der in Zusammenarbeit mit dem Museum Kreuzberg dafür sorgte, daß vor den Wohnadressen deportierter und ermordeter NS-Opfer Messingplatten mit deren Lebensdaten in den Gehweg eingelassen werden. Die Absicht vom "wissenschaftlich-humanitären komitee", die Patenschaft eines Gedenksteins für ein Opfer der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung zu übernehmen, wurde vom whk für eine Auseinandersetzung mit den Initiatoren der Gedenksteine benutzt, in der homosexuelle NS-Opfer diffamiert werden.
Das ist falsch. Das whk "benutzt keine Absichten", schon gar nicht für eine "Auseinandersetzung mit den Initiatoren der Gedenksteine" (der ehrenwerte Initiator heißt Gunter Demnig, Köln), sondern sah sich gezwungen, den unseriösen Umgang jener öffentlich zu kritisieren, die Demnigs Projekt in Berlin verwalten.
Bereits die Auswahl eines für sie annehmbaren Opfers führte zu Verdächtigungen durch die selbsternannten Aktivisten sexueller Emanzipation. Der erste Name wurde verworfen. Das Opfer schien ihnen nicht "unschuldig", sondern verstrickt in die NS-Zeit. Der Betroffene war ausweislich seiner letzten Tätigkeit 1944, bevor er zum zweiten Mal verhaftet wurde und am 3. Januar 1945 in Untersuchungshaft starb, Wachmann in einem Zwangsarbeitslager. Mit dieser Information entschied sich das whk, für ihn keine Patenschaft in Gestalt eines Gedenksteines zu übernehmen. Das ist
legitim.Das whk hatte vom Heimatmuseum Friedrichshain-Kreuzberg eine Personalie zum Opfer Fritz Dubinski übermittelt bekommen, welche die Information "Wachmann in einem Zwangsarbeitslager" enthielt, aber keine weiteren erläuternden Details dazu. Das whk konsultierte vorsorglich einen Historiker der Ausstellung "Fragen an die deutsche Geschichte" des Deutschen Bundestages, der in Ermangelung weiterer Informationen dazu riet, sich um eine andere Patenschaft zu bemühen, um nicht womöglich in einem Opfer auch einen Täter ehren zu müssen. Die Museumsleiterin entschuldigte sich beim whk und übersandte eine neue Opfer-Personalie. Auch diese hat das whk übrigens von einem Historiker überprüfen lassen, und auch hier ergab sich, daß dem Stifter whk nicht alle vorliegenden biographischen Angaben mitgeteilt worden waren.
Doch damit erlosch nicht das Interesse an dem, was whk-Vertreter als "Opfer-Personalie" bezeichnen. Er gilt ihnen als "Nazi-Täter", sein Name wird für eine öffentliche Empörung in Anspruch genommen.
Von dieser dümmlichen Darstellung abgesehen: Welcher Antifaschist hätte es zumal vor dem Hintergrund der faktischen Nicht-Entschädigung der Zwangsarbeiter durch die Bundesrepublik Deutschland nicht als Provokation empfunden, ausgerechnet einen Wachmann in einem Zwangsarbeiterlager (mehr Informationen hatte das whk ja nicht) als NS-Opfer ehren zu sollen?
"Der Verstorbene kann sich dagegen nicht wehren, daß seine Lebens- und Verfolgungsgeschichte auf solch skandalöse Weise verleumdet und verfälscht wird", konstatiert Andreas Pretzel besorgt. Nach seinen Forschungen war der Verstorbene, wie das vom whk dann im weiteren ausgewählte Opfer, gleichfalls Arbeiter, seit seiner Jugend in diversen Berliner Betrieben beschäftigt. 1942 wurde er, wie viele Männer und Frauen an der "inneren Arbeitsfront" des NS-Regimes, dienstverpflichtet. Als "Vorbestrafter" kam er nicht in die Rüstungsproduktion, sondern wurde als Wachmann einem Lager für ausländische Zwangsarbeiter zugeteilt. Die zu ihm überlieferten historischen Quellen berichten u.a. über seine Hilfe für Ukrainer, sie schildern einen Mann, der mit ihnen sein Essen teilte. Sie berichten auch von einer intimen Freundschaft zu einem jungen Mann seit 1939, als er dafür zum ersten Mal gerichtlich bestraft und für ein Jahr inhaftiert wurde. Die Gestapo hatte ihn seit 1935 in Verdacht, verhört und registriert. Die Freundschaft der beiden überdauerte die Nachstellungen, noch 1944 schreiben sie sich Briefe, da ist sein Freund bereits seit zwei Jahren Soldat im Krieg ...
Damit bestätigt die MHG exakt den whk-Vorwurf des unseriösen Umgangs mit dem Projekt. Denn genau diese biographischen Details wurden dem Stifter des Gedenksteins (dem whk) vorenthalten, obwohl sie offenbar vorlagen. Sollte letzteres hingegen nicht der Fall gewesen sein, ist es eine höchst fragwürdige Methode, dem whk die Kenntnis von Fakten zu unterstellen, die die Verwalter des Projekts selbst nicht hatten.
"Biographie und Verfolgungsschicksal von Fritz Dubinski sperren sich gegen eine oberflächlich instrumentalisierte, naive und geschichtsvergessene Opfer-Täter-Unterscheidung."
Das whk hat weder Biographie noch Verfolgungsschicksal Fritz Dubinskis instrumentalisiert, noch hat es "naiv und geschichtsvergessen" gehandelt. Vielmehr hat es höchst geschichtsbewußt gegen den im Land der Täter allgemein üblichen Trend gehandelt, Opfer und Täter zu vermischen und damit letztere zu rehabilitieren.
"Der Mißbrauch seines Namens empört", kritisiert Andreas Pretzel. "Dieser Skandal verärgert mich mehr, als die Umgangsformen von Mitarbeitern des Kreuzberg-Museums mit Vertretern des whk, welche eine disziplinarische Bestrafung und Entlassung der Museumsmitarbeiter fordern, weil die eine Einladung an die whk-Stifter zur Steinverlegung angeblich vergessen hatten. Das eifernde Verhalten einiger Berliner whk-Vertreter beschädigt auch das Gedenkprojekt der 'Stolpersteine'."
Die Nichteinladung zur Gedenksteinverlegung war erstens keine "angebliche", sondern ist ein Faktum. Zweitens verfälscht Herr Pretzel namens der MHG hier die Reihenfolge: Die whk-Forderung, seriöse und kompetente Mitarbeiter mit der Arbeit am Projekt "Stolpersteine" zu beauftragen, war Folge dessen, was er zu ärgerlichen "Umgangsformen" verniedlicht.
Pretzels Trick ist durchschaubar: Indem er die von ihm nicht namentlich genannten "einigen Berliner whk-Vertreter" zu "eifernden" beleidigten Leberwürsten herabsetzt, verschleiert er den viel größeren politischen Skandal: daß das Projekt "Stolpersteine" in Berlin in Händen von Leuten liegt, die die gebotene Achtung vor den NS-Opfern (z.B. durch eine schlampige Informationspolitik) vermissen lassen.Es ist nicht das erste Mal, daß das whk NS-Opfer als "Nazi-Täter" beschimpft.
Das haben Andreas Pretzel und die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft sehr richtig erkannt: Das whk hat noch nie NS-Opfer als Nazi-Täter beschimpft und wird dies auch künftig nicht tun. Insofern hat es weder ein erstes noch ein weitres Mal gegeben.
Erinnert sei an die Unterstützung der unsäglichen Kampagne von Peter Kratz vor zwei Jahren. Er hatte für seine Kritik am Vorkämpfer der Homosexuellenbewegung, Magnus Hirschfeld, den die Nazis ins Exil vertrieben und sein Lebenswerk zerstörten, ausgerechnet den NS-Propagandisten Julius Streicher bemüht und erst auf empörten Einspruch seinen Vergleich zurückgenommen.
Das ist falsch. Das whk hat, sollte es sie denn gegeben haben (wovon das whk keine Kenntnis hat), niemals eine Kampagne Peter Kratz' unterstützt. Der Publizist engagiert sich auch nicht beim whk, sondern beim Berliner Institut für Faschismus-Forschung (BIFFF). Als Autor hat er der vom whk herausgegebenen Zeitschrift Gigi Beiträge zugeliefert, in denen der Name "Streicher" (wie die MHG suggeriert) gar nicht auftaucht, die der MHG allerdings unbequem sein müssen, weil sie dem mystifizierten und idealisierten Gesamtbild ihres Namenspatrons gern unterschlagene sexual-eugenische Facetten hinzufügen. Daraus den Schluß zu ziehen, Hirschfeld sei durch Veröffentlichung dieser Seiten zum NS-Täter gestempelt worden, würde selbst einen Nicht-Historiker disqualifizieren.
Die neue Kampagne des whk belegt einmal mehr die erschreckende Geschichtslosigkeit und Geschichtsfälschung von (gemeint ist: durch) Berliner whk-Aktivisten, ihren respektlosen und unwürdigen Umgang mit Opfern der Nazi-Diktatur. Angesichts dessen erweist sich der Name dieser Gruppe in Referenz an das einst von Hirschfeld mitbegründete "Wissenschaftlich-humanitäre Komitee" (1897-1933) als skandalöser Mißbrauch.
Dies entzieht sich jeder weiteren Kommentierung. Hinweise auf die tieferen Ursachen für die Ausfälle der MHG finden Sie in den whk-Presseerklärungen 04/2002, 05/2002 und 12/2002 sowie im Editorial der Zeitschrift Gigi, Ausgabe 20.
Für Nachfragen:
Andreas Pretzel
Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V.
Chodowieckistr. 41, D-10405 Berlin
tel./fax x49-30-441 39 73
mhg@magnus-hirschfeld.de