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5. Januar 1998
An Abgedrehtheit kaum zu überbieten
Die Beck ab!-Story, Teil 4: Was sonst noch zu vermelden wäre.
Wegen der beharrlichen Verweigerung einer politischen Debatte über die Person und das Konzept Volker Beck seitens seiner Gehülfen muß in dieser Folge unserer Beck ab!-Story einmal mehr beklagt werden, was es einbringt, in dieser allerbesten aller schönen schwulen Welten sich politisch unbotmäßig, sprich: allzu links zu gebaren. Doch keine Bange, auch das wirft ein gleißendes Punktlicht auf Zustand und Richtung der Schwulenbewegung.
Der allerletzten Ausgabe der in unserer Moritat schon mehrmals erwähnten rosa zone verdanken wir die Information, daß Beck ab! bei Barbara Steffens Kopfschütteln auszulösen vermochte. "Das muß man nicht mehr kommentieren, das ist einfach daneben und völlig niveaulos", zitiert Marc Kersten die nordrhein-westfälische Vorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen.
"Wer selbst keine politische Perspektive hat, dies aber nicht wahrhaben will, verlegt sich in der Regel darauf, die Arbeit anderer Leute zu torpedieren", erklärt der Rundbrief für die Mitglieder des SVD (Dezember 1997) bezüglich "einer recht skurrilen Gruppe 'Beck ab! Initiative gegen Volker Beck im Bundestag". Wie wir lesen, "agitiert man über Aufrufe im Internet und mit Presseerklärungen". In derlei Sachen ist die SVD-Pressestelle unfehlbare Institution. Der "SVD-Sprecher und Bundestagsabgeordnete" werde "mit Vorwürfen überhäuft, die an Abgedrehtheit schwer zu überbieten sind". Leider wird den armen SVD-Mitgliedern vorenthalten, warum wir Abgedrehten Becks "Einsatz für binationale Paare heftig kritisieren" oder mit welchem Duktus und vor welchem Hintergrund Beck "von der Bundesregierung eine an den Menschenrechten orientierte Außenpolitik einfordert". Hingegen müssen wir strikt von uns weisen, daß es sich bei der "recht skurrilen Gruppe Beck ab!" um eine der laut SVD-Rundbrief-Rubrik "Aktionen des Bundesverbandes" handelt.
Damit der SVD-Klient erkennt, daß das homophile Bürgerrecht mitsamt Volker Beck und SVD von links und rechts gleichermaßen bedroht wird, folgt dem unfreundlichen Artikel über Beck ab! ein gleichlanger mit dem Titel "Neonazis hetzen gegen Schwulenverband". Das tun sie, wir ahnten es, ebenfalls mit Aufrufen im Internet, aber zumindest hat sich der SVD hier nicht Verrückter zu erwehren. Die Neonazis jedenfalls werden nicht als "abgedreht" beschrieben.
Wir bleiben beim Thema: "Als Mitglied des Arbeitskreises lesbischer und schwuler Polizeibediensteter NRW lege ich meinen Protest gegen Eure Kampagne ein", echauffierte sich ein Thomas Schröder am 16. Dezember per Elektropost über Beck ab! Angetan hatte es ihm ein Flugblatt mit dem Bild des vor dem Deutschen Bundestag stehenden Volker Beck, dem wiederum unser Layouter ein virtuelles Schild um den Hals gehängt hatte mit der Aufschrift "Ich muß leider draußen bleiben". "Es scheint wie zu Hitlers Zeiten zu sein, als Juden auch öffentlich angeprangert wurden. Das gleiche macht Ihr nun auch", ließ sich unser braver Gesetzeshüter vernehmen und warnte schließlich eindringlich: "Macht ruhig weiter so und Ihr werdet bald verschwunden sein." Nach Hinweisen darauf, daß seine e-Mail strafrechtsrelevante Passagen enthält und wir einen Juristen mit der Prüfung einer Klage beauftragt hätten sowie einer auf der Police Academy offenbar versäumten Unterweisung in den Grundrechten auf Versammlung, politische Betätigung und freie Meinungsäußerung erreichte uns am 20. Dezember "mit freundlichen Grüßen" ein weiterer Brief: "Meine Meinung zur Kampagne habe ich geändert. Zumindest setze ich mich politisch mit ihr auseinander." Da sage noch jemand, ein schwuler Polizeibediensteter aus Nordrhein-Westfalen könne kein geeignetes Vorbild für ein schwules MdB und seine Assistenten sein.
Stolz darf sich Beck ab! rühmen, eine große Anzeige pro Beck in der rosa zone verursacht zu haben, deren Verleger höchstselbst die Eloge zu signieren geruhte. Beängstigend ist nicht der Umfang der Liste, die mit rund 120 Namen weitaus länger und nach den schlichten Maßstäben der Ära Lindenstraße prominenter bevölkert ist als die von Beck ab! die Namen sind eine eingehende Kommentierung jenseits der Beck ab!-Story wert. Bemerkenswert ist vielmehr, welch hohle Phrasen da teils achtbare Leute unterzeichnen. Wir lesen: "Vier Jahre Volker Beck im Bundestag: Wir wollen mehr davon!" Mehr wovon? Vom Typus Beck oder mehr Jahre oder beides? Wir nähern uns dem Kern: "Er hat seine Sache wirklich gut gemacht." "Seine Sache" trifft es exakt: Des Abitu-rienten Karriere ist ein gutes Stück vorangekommen, nur die Emanzipation ist passé. Womit das zu tun hat, auch das läßt die Anzeige nicht ungesagt: "Volker Beck steht für eine konsequente Rechtsstaatspolitik: Für eine vernünftige und sachliche Kriminalpolitik, für den Ausbau der Bürgerrechte und für Minderheitenschutz."
Welche Bürgerrechte hat Beck "ausgebaut"? Was ist überhaupt "konsequente Rechtsstaatspolitik"? Daß ein schwuler Bundesanwalt und enger Beck-Freund einst dem §175 StGB zur Geltung verhalf zum Beispiel. Wer entscheidet in diesem Staate, was Recht ist, und wozu wurde und wird es mißbraucht? Angenommen, es gäbe denn diesen idealisierten Rechtsstaat: Ist das MdB Beck durch Initiativen zur Abschaffung des Sexualstrafrechts aufgefallen? Erhob er nicht 1995 anläßlich einer Konferenz über Schwule und MigrantInnen hinsichtlich hier lebender Türken und unisono mit der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU) die populäre Forderung "Gewalt darf in unserer Gesellschaft nicht toleriert werden!", ohne auch nur einen Gedanken an deren tiefere Ursachen zu verschwenden? "Null Toleranz!" heißt das heute regierungsamtlich. Auch das ist "konsequente Rechtsstaats- und sachliche Kriminalpolitik", und sie richtet sich gegen niemand sonst als unterprivilegierte Minderheiten. Beck und der Schutz politischer und sexueller Minderheiten? Gibt's in Becks Schwulenverband noch Linke? Sie werden dort inzwischen zur persona non grata erklärt. Sprang SVD-Chef Beck 1993 nicht öffentlich Horst Eylmann (CDU) bei, als dieser vor dem Hohen Hause explizit den Bundesverband Homosexualität anklagte, er fördere "die Vergewaltigung von Kindern"? Stimmte nicht 1994 derselbe SVD dafür, alle pädoverdächtigen Selbsthilfegruppen aus dem Homo-Weltverband ILGA zu verbannen? Wie steht es um die Heiratsunwilligen, die nicht mal eine Minderheit sind? Schließt Becks Ehe-Politik nicht deren Diskriminierung ein? Daß Beck sich für Rehabilitation und Entschädigung von NS-Opfern einsetzt, wofür ihn das Inserat ebenfalls lobt, müßte selbstverständlich sein. Sein Einsatz in dieser Frage ist indes keineswegs unumstritten; es gibt Vertreter von NS-Opferverbänden, deren Adrenalinspiegel beim Namen Volker Beck spürbar ansteigt.
Mit Beck, so gehen endlich die Unter-zeichner den NRW-Landesparteitag um einen sicheren Listenplatz an, "haben Lesben und Schwule" welche Lesben und Schwulen gemeint sind, wird nicht verraten "einen Vertreter in Bonn, auf den sie stolz sein können. Er ist für uns eine Garantie dafür, daß Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Engagement für diskriminierte Minderheiten nicht nachlassen werden." Auch Beck ab! sieht diese Gefahr bei der Partei: Nicht ohne, sondern mit und dank Volker Beck. Wer ihn noch immer vier weitere Jahre im Bundestag ertragen möchte, melde dies na, wem wohl? Richtig, Jörg Lenk vom SVD-Landesverband NRW.
Freilich weist auch Beck ab! bekannte Unterstützer nicht generell ab. Unlängst begrüßten wir als solchen Herbert Rusche. Für jene, die glauben, es habe vor Volker Beck keine bundestägliche Schwulenpolitik gegeben: Rusche war Mitgründer der grünen Bewegung und ihrer Partei. Als Nachrücker respektive erster offen schwuler Abgeordneter gehörte er von 1983-1987 dem Deutschen Bundestag an, wo er sich deshalb noch beschimpfen lassen durfte. In seine Zeit fallen neben der Wörner-Kießling-Affäre der Kampf gegen Gauweilers AIDS-Zwangsmaßnahmenkatalog sowie die Durchsetzung einer liberalen AIDS-Politik. Seine Initiativen betrafen etwa das Sexualstrafrecht, insbesondere die Streichung der §§ 175 und 182 StGB, straffreie Entschädigungsanträge durch ehemalige Rosa-Winkel-Häftlinge, die berufliche Nicht-Diskriminierung Homosexueller, die Öffentlichmachung von rosa Listen wie der Video-Observierung von Klappen oder illegaler HIV-Tests bei ausländischen Praktikanten ohne deren Wissen. Ferner widmete er sich dem Asylrecht für verfolgte Schwule und Lesben, der Anerkennung von Kriegsdienst- und Totalverweigerern sowie dem deutschen Waffenhandel.
Warum dies hier so ausführlich? Der in Aachen lebende Herbert Rusche plant, sich beim NRW-Landesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen Ende Januar um einen der 18 Listenplätze für den Bundestag zu bewerben. Dort träfe er auf Volker Beck, dem er vorhält, nur einen Teil der Schwulen vertreten zu haben: "Forderungen nach einer 'Homo-Ehe' und nach staatlichen Maßnahmen gegen die durch staatliche Maßnahmen initiierte Unterdrückung decken leider nur die Forderungen eines kleinen konservativen Kreises ab", so Rusche in seiner Kandidaturanmeldung, in welcher er auch klarstellt, daß er "Volker Beck nicht unbedingt verhindern, aber ergänzen" will.
Kaum war diese frohe Kunde zur rosa zone gelangt, fragte auch schon Marc Kersten, charmanter Begleiter unserer Kampagne, besorgt: "Konkurrenz für Beck?" und legte dem von ihm interviewten Rusche neben weiterem Blödsinn das Geständnis in den Mund, er sei von Beck ab! zwecks Kandidatur angesprochen worden. Diese war Rusches eigene Idee; Jürgen Nehm von Beck ab!, mit Rusche seit Jahren bekannt, hatte lediglich um Unterzeichnung des Aufrufs gebeten. Auch wenn es inhaltliche Differenzen gibt, wird Beck ab! Rusche beistehen, allerdings nur anläßlich der internen Kandidatenkür von Bündnis 90/Die Grünen. Beck ab! bleibt überparteilich.
Gemeldet sei noch der Abgang eines jugendlichen Beck ab!-Unterstützers. Daniel Büdeker, Sozialarbeiter in spe und Sprecher der AG Schwulenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen, Regionalarbeitskreis Ostwestfalen/Lippe, hatte am 22. Oktober den Aufruf unterzeichnet, vier Wochen lang alle Materialien erhalten und Beck ab! wichtige Informationen zugearbeitet. Am 16. November zog er seine Unterschrift zurück, um nun unserer "Schmutzkampagne" in der Januar-Nummer des Kölner Dumpfblattes Box leserbrieflich in den Hintern zu treten. Beck ab! gehe es nur darum, "einen Menschen zu verunglimpfen und zu attackieren", was zeige, "welcher wirkliche Geist da am Werke ist".
Wir haben nie bestritten, daß bei Beck ab! wirklicher Geist am Werke sei und gestehen, daß selbiger sich nun in amüsanten Spekulationen darüber ergeht, was Daniels abrupten Sinneswandel bewirkt haben könnte. Ob das Ganze nur das Ende einer kühnen Wallraffiade war oder durch bündnisgrüne Gehirnvollwäsche rückstandsfrei abgebautes ehrliches Interesse: Das dumme Kind bestraft sich letztlich immer selbst. Na, vielleicht lernt Daniel das ja noch vor seinem Studienabschluß.
Eike Stedefeldt