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1. Dezember 1997
Beck-Sprech und Schafe im Wolfspelz
Die Beck ab!-Story, Teil 3: Was sich weiter zutrug.
Das Letzte zuerst: Am 29. November erreichte das Beck ab!-Sekretariat eine nette e-mail des Rosa Zone Verlages. Darin verlieh Micha Schulze seiner Mutmaßung Ausdruck, wir wären "mit der rosa-zone-Berichterstattung zu Beck ab!", wie ihm zu Ohren gekommen sei, "nicht ganz glücklich gewesen." Nichts gegen die werten Ohren, aber welche Berichterstattung? Was Schulze dafür gehalten haben könnte, kommentierte Teil 2 unserer Beck ab!-Story so: "Zunächst schlugen sich Marc Kersten und die rosa zone auf Volker Becks Seite. In derselben Nummer fanden wir schlappe dreizehn SVD-Anzeigen, welche laut Preisliste Nr. 5 mit 2.860 DM/netto zu Buche schlagen". Das riß den Geschäftsführer des Rosa Zone Verlags nicht nur zu einer wenig charmanten e-mail hin, sondern auch einem arglistigen "Freundschaftsangebot": "Wenn Ihr in den Ausgaben Januar bis Oktober 1998 zur Veröffentlichung des Beck ab!-Aufrufs mit den zahlreichen Unterstützern jeweils 1 Seite 4c zum Gesamtpreis von 23.900 DM zzgl. Mwst bucht (Preisliste Nr. 5), garantiere ich Euch nicht nur einen Beck ab!-freundlichen Kommentar in der rosa zone (...), sondern auch noch ein bitterböses, zweiseitiges Beck-Porträt vor den Bundestagswahlen, das den Grünen-Politiker unwiderruflich als reaktionären Biedermann, Faschisten, Rassisten, Sexisten, Kölschtrinker usw. entlarvt." Bliebe anzumerken (und der Beweis folgt auf dem Fuße), daß politisches Denken halt schwerer erlernbar ist als kommerzielles Handeln und letzteres das erstere oft ausschließt: "Allerdings muß ich darauf hinweisen, daß wir grundsätzlich von allen Neukunden Vorkasse verlangen." Tres bien!
"Bei uns (...) hat dieser Aufruf zu Diskussionen geführt, wobei sich eine Mehrheit fand, die diesen Ansatz für politisch falsch hält", teilte am 3. November der Rundbrief des seit einigen Monaten um Aufmerksamkeit bemühten Linken Arbeitskreises der Rosa Lüste in Wiesbaden mit. Unter dem Stichwort "Bedenkliches", pardon "Bedenkenswertes" erfuhren wir zwar nicht, was die Minderheit der Rosa Lüstlinge zum Ansatz von Beck ab! fand. Was die Mehrheit denkt, wurde indes so beschrieben: "Es gehe nicht um Schlammschlachten gegen Personen, sondern um das Erarbeiten und Verbreiten von besseren, also linken Positionen. In der schwulen Szene seien die gleichen unterschiedlichen politischen Positionen zu finden wie in der Gesellschaft. Volker Beck sei nicht der Drahtzieher, der die Schwulenbewegung nach rechts dränge, sondern tatsächlich Repräsentant bürgerlicher Schwuler." Abgesehen davon, ob der Drahtzieher nun zieht oder drängt: Warum sollten sich Linke plötzlich aufs "Erarbeiten und Verbreiten von besseren, also linken Positionen" beschränken, während neoliberale Helden längst am schwulen Standort werkeln? Lassen wir uns also überraschen von den praktischen Folgen der Existenz jener "besseren, also linken Positionen".
Jan Feddersens garstiger taz-Artikel über Beck ab! vom 17. Oktober provozierte einige Meinungsäußerungen. So wies Dieter F. Ullmann aus Berlin darauf hin, "worauf es Feddersen bei seiner Auftragsarbeit ankam: sie (Becks Kritiker, E.S.) lächerlich zu machen und damit ihre Kritik zum Verstummen zu bringen." Torsten Ehrke, Sprecher der BAG Schwulenpolitik, fand Beck ab! "einfach abstoßend", während Maria Sabine Augstein aus Tutzing Feddersens Text, wie sie schrieb, lesen mußte (in der taz, nicht im Neuen Deutschland!). Und zwar, so die Chefin der rührigen Homo-Ehe-AG SLP e.V., "mit Entsetzen". Das entzückendste Brieflein enthielt die taz ihrem armen Publikum aber leider vor. "Der Abgeordnete", bezeugte der ehrenwerte Bremer Uniprofessor Rüdiger Lautmann auf kompetenzstiftendem Kopfbogen poetisch, "arbeitet überaus erfolgreich. All seine fleißigen Anfragen halten die schwule Sache beim Bundestag in Gang", was "unbedingt dankenswert" sei. Becks "brave Gesetzentwürfe" seien, wie konnte uns das bloß entgehen, "ein legalistischer Schafspelz, der die durchaus wölfischen Ziele gnädig umhüllt, die den Heterosexismus zittern machen." Daß, wie so viele Schreibstuben dieses, unseren Landes, Lautmanns weise Worte auch das Beck ab!-Hauptquartier erreichten, danken wir erneut der noblen Fax-Kennung "V. BECK MDB BONN". Ein schönes Indiz für die Gelassenheit, mit der unser tapferer Zinnsoldat linksradikalen Widerlingen begegnet.
Nun noch das Wichtigste in Kürze. "Ja zur Polygamie: Beck ab! begrüßt 'Hamburger Ehe'" bejubelte unsere Pressemitteilung vom 8. November in typischem Beck-Sprech die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Grün-Alternativer Liste in Hamburg. Beck ab! forderte darin Grüne und SPD auf, "das Hamburger Modell bundesweit aufzugreifen. Für Bündnis 90/Die Grünen sollte dies ein Impuls sein, ihr Bundestagswahlprogramm zu überarbeiten, das weiter die staatlich sanktionierte 'Homo-Ehe' und den Zugang einer Minderheit der Homosexuellen zu Ehe-Privilegien favorisiert, anstatt generelle Alternativen zur Ehe voranzutreiben."
Wir selbst nahmen den ersten Entwurf des Bundestagswahlprogramms von Bündnis 90/Die Grünen zum Anlaß, Gegenvorschläge zu unterbreiten. Der Entwurf offenbart erhebliche Dissonanzen zwischen Aussagen zu emanzipatorischer Frauen-, Lesben- und MigrantInnenpolitik einerseits und denen zu schwuler Männerpolitik andererseits. Unsere alternativen Formulierungen werden wir zunächst am 3. Dezember Vertretern des Berliner AL-Schwulenbereichs vorstellen, bei dem "V. BECK MDB BONN" auch kein sonderlich hohes Ansehen genießt.
Beck ab! hat aktuell über 50 UnterstützerInnen zwischen Olden- und Regensburg, mit starkem regionalen Schwerpunkt in NRW, doch einer sehr schwachen Stelle: Köln. Stark vertreten sind aber weiterhin StudentInnen. Auffällig ist ferner, wie bedeckt sich die schwule Prominenz hält. Oft erntet Beck ab! inhaltliche Unterstützung, jedoch keine Unterschrift. Begründung: Man könne es sich ökonomisch nicht leisten, einen Teil seiner Klientel zu brüskieren. Insbesondere traditionsreiche schwule Betriebe wie Buchläden und Verlage bringen bedauernd dieses Argument vor. Wie gesagt: Kommerzielles Denken schließt politisches Handeln aus. Nicht immer, aber immer öfter.
Eike Stedefeldt