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Das neue whk
"Durch Wissen zur Gerechtigkeit" so hieß ein Leitspruch des 1897 in Berlin unter Federführung des Arztes Magnus Hirschfeld gegründeten "Wissenschaftlich-humanitäres Komitees", der weltweit ersten Homosexuellenorganisation. Damals bezog sich der aufklärerische Impetus vor allem auf die Vermittlung von Wissen über die verschiedenen Möglichkeiten von Sexualität.
Hundert und ein Jahr später ist hierzulande viel erreicht: Homosexualität steht nicht mehr per se unter Strafe, die Gesellschaft ist toleranter gegenüber abweichenden Lebensweisen, anderen Sexualitäten geworden und ungezählte Vereine streiten für Gleichberechtigung in den gegebenen Verhältnissen.
Doch ist das schon Gerechtigkeit, etwas, das auf der Idee umfassender Gleichheit sowohl zwischen den Individuen als auch der des Individuums gegenüber Staat und Gesetz basiert? Vielmehr erleben wir, daß die bürgerlichen Repräsentanten vor allem schwuler Männer, aber auch lesbischer Frauen, bereit sind, für den Erwerb bestimmter Vorrechte sich und ihre Klientel dem heterosexuell geprägten Wertekanon zu unterwerfen und dabei neue Formen von Diskriminierung, vor allem soziale Kontrolle und politische Disziplinierung, billigend in Kauf zu nehmen.
"Durch Wissen zur Gerechtigkeit" bedeutet für uns, gerade dies nicht zu tun und solchen Tendenzen entgegenzutreten. Unser Wissen um die Wirkungsweise einander bedingender und durchdringender Unterdrückungssysteme allen voran Patriarchat und Kapitalismus soll nun in konkrete politische Arbeit münden, die auf Emanzipation und damit Humanität in umfassendem Sinne setzt und sich vor allem dem Solidaritätsgedanken verpflichtet fühlt. Die Teilhabe an Vorrechten kann für uns weder Zwischen noch Endstation emanzipatorischer Arbeit sein.
So haben wir uns entschlossen, den Grundgedanken des historischen Whk wieder aufzugreifen und ihn konsequenterweise unter demselben Namen schöpferisch auf unsere Zeit, ihre konkreten Gegebenheiten anzuwenden. Das setzt in unseren Augen neben enger Verbindung zu anderen Befreiungs-bestrebungen und bewegungen eine radikale Prüfung, Kritik und Infragestellung aller gesellschaftlichen Verhältnisse voraus. Denn die Befreiung der Sexualität in einer ansonsten unfreien Gesellschaft ist schlechterdings unmöglich.
Am 27. Oktober 1998 haben wir das Whk wiedergegründet nicht als Organsiation respektabler Herren, nicht als honorige Wissenschaftler, nicht "von oben", sondern als BasisInitiative selbstbewußter "schwuler Säue" mit politischer Erfahrung, einem klar umrissenen Programm und mit dem Ziel einer Assoziation sexualemanzipatorischer Gruppen. Das neue whk wird, wie das im Kaiserreich gegründete, keine Massenorganisation werden, hofft aber dennoch auf Zulauf von seiten all jener, die sich nicht gleichstellen und letztlich in ihrer Lebensweise gleichschalten lassen wollen.