Gründungsaufruf des whk
Raus aus der Mottenkiste Sexuelle Befreiung statt BürgerInnenrechte
Rassismus, Sexismus, aber auch Homophobie und Antisemitismus sind ideologische Grundpfeiler des kapitalistischen Systems. Der Wunsch, diese Unterdrückungsverhältnisse innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft durch eine formaljuristische Gleichstellungspolitik aus dem Weg zu schaffen, geht fehl. Im Gegenteil: die gesetzlichen Initiativen zur Gleichstellung der Homosexualität berufen sich auf den Minderheitenstatus von Lesben und Schwulen und schreiben gerade dadurch den Status einer heterosexuellen "Mehrheit" fest, die über die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender-Personen verfügen kann also auch darüber, welche ihrer Lebensformen toleriert werden und welche nicht.
Hingegen machte sich die Schwulenbewegung der 70er Jahre unter dem Stichwort "Emanzipation" auf, die eigene Lebensweise autonom das heißt unabhängig von vorgelebten patriarchalen Rollenmustern und marktgerechten Subkulturen neu zu erfinden. Dieses Projekt ist heute nach fast zwanzig Jahren konservativer Wende und zehn Jahren liberalkonservativer Bürgerrechtspolitik verschwunden hinter einer Politik, der es um nicht mehr geht als um eine lächerliche Kopie der vorherrschenden heterosexuellen Partnerschaftsvorstellungen. Dabei gälte es gerade zu erkennen, daß Homophobie im Zusammenhang steht mit der Durchsetzung von Ehe und Familie als einzigen legitimen Lebensformen und der Konstruktion eindeutiger Geschlechterrollen.
Homophobie ist kein Relikt vorkapitalistischer Gesellschaften. Sie ist in besonderer Weise ableitbar aus dem warenförmigen Zusammenhang der kapitalistischen Gesellschaft. Bereits die Konstitution einer schwulen Minderheit, die sich in bestimmten Häusern, Bars, in einer klar unterscheidbaren, zusammenhängenden "Szene" trifft, ist ein Produkt des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Diese Zeit markiert einen Umbruch, der einherging mit dem Beginn von Razzien, Repression, Todesurteilen, "antischwuler Gewalt", die erstmals als Massenphänomene auftraten. Parallel wurden alternative Formen, Homosexualität zu leben etwa in zärtlichen Freundschaftsbeziehungen, die öffentlich anerkannt waren , zunehmend unmöglich.
Die Expansion des schwulen und schließlich auch des lesbischen Ghettos in den Großstädten der kapitalistischen Welt ist somit nicht ein Zeichen abnehmender, sondern zunehmender Homophobie und der Herstellung einer gesellschaftlichen Differenz, die mit immer subtileren Mitteln arbeitet und auch regional immer weiter ausgreift. Lesben, Schwule, Personen mit transgeschlechtlicher Identität werden historisch wie individualgeschichtlich aus ihren unmittelbaren Lebenszusammenhängen herausgerissen und als Marktsubjekte in einem Ghetto konstituiert, das durch klare Klassenstrukturen, durch Rassismus und Sexismus geprägt ist. So wird das lesbische und schwule Ghetto heute von einer Schicht von weißen, männlichen "Professionellen" regiert, die die anderen zum marginalisierten Objekt ihrer Politik und Verwertungsbedürfnisse macht und lesbischwule Identitäten produziert, um sie für den Markt herzurichten. Die Ausbeutung lesbischer und schwuler Sexualitäten, die uns jeden autonomen, selbstdefinierten Raum nimmt, durchkreuzt unsere politischen Ansprüche auf Emanzipation.
Doch auch, wenn Homophobie strukturell in der kapitalistischen Gesellschaft verankert ist und damit ihre Überwindung innerhalb der bestehenden Verhältnisse illusionär, gibt es ein Aktionsfeld für eine linke "Sex-Politik". Sie besteht darin, den Zusammenhang von sexual- und geschlechterpolitischen Veränderungen als Teil einer umfassenden Regulationspolitik zu verstehen, mit denen historische Projekte der Profit- und Akkumulationssicherung durchgesetzt und abgesichert werden. So erweist sich etwa die Renaissance konservativer Ehe und Familienvorstellungen auch unter Schwulen und Lesben letztlich als Teil des neoliberalen Projekts. Mit dem Abbau des Wohlfahrtsstaates verbindet sich auch der Wunsch, die sozialen Sicherungssysteme wieder enger an die privaten Arrangements von Ehe und Familie zu koppeln. Damit wird verstärkt auf die Ressource unbezahlter Haus, Pflege und Erziehungsarbeit von Frauen zurückgegriffen. Gleichzeitig ist auch die Durchsetzung der HomoEhe Vorbereitung eines Politik, der es darum geht, die Innenstädte von alternativen Schmuddelmilieus zu reinigen. Eine verstärkte Repression gegenüber bestimmten Bars, Kneipen und Saunen in Form von vorgeblichen Drogenrazzien u.a. ist dabei ebenso Bestandteil dieser Politik wie die Privatisierung von Toilettenanlagen und die Schließung von Klappen, in denen bislang schwuler Sex praktiziert wurde. Die Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse, der Abbau des Wohlfahrtsstaats, die Durchsetzung der HomoEhe, die Politik der Innenstadtsäuberung, die Kriminalisierung und Abschiebung von MigrantInnen all dies sind Bestandteile desselben neoliberalen Konzepts. Auch eine repressive Seuchenpolitik im Zusammenhang mit AIDS, wie sie in den 80er Jahren vor allem in den USA durchgesetzt, in Deutschland hingegen weitgehend verhindert werden konnte, steht in diesem Kontext.
Die Politik, die sich im Rahmen der AIDS-Krise entwickelte, ist das erste Beispiel einer Politik sexualpolitischer Bewegungen, die nicht mehr auf starre Identitäten setzte, sondern auf ein breites Bündnis von marginalisierten Minderheiten: Junkies, Schwulen, Prostituierten zielte.
In diese Tradition einer identitätsübergreifenden Allianz von sexuellen und transgeschlechtlichen Bewegungen stellt sich das wissenschaftlichhumanitäre komitee. Es sucht nach Bündnissen mit der radikalen Linken und setzt auf die Repolitisierung von Sexualität und Geschlecht als ideologischen Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft.