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1. Oktober 1998
Heim ins Reich mit Volker B.
Der Schluß der Beck ab!-Story.
Es ist vorbei. Endlich. Ein Jahr intensiver politischer Arbeit liegt hinter der Initiative Beck ab!, welche wir mit einer heiteren Wahlparty am 27. September in Berlin planmäßig zu Grabe trugen. Der Anlaß ist somit gegeben für ein grundsätzliches Resümee.
Zunächst jedoch das Aktuellste von http://www.volkerbeck.de/: "Allen Wählerinnen und Wählern danke ich für ihr Vertrauen. Mit 16 % der Zweitstimmen in meinem Wahlkreis Köln Innenstadt/Porz haben die Grünen gegen den leicht negativen Landes- und Bundestrend noch einmal zugelegt. Hier haben wir das beste Ergebnis der Grünen in NRW geholt. Allen Wahlhelferinnen und Wahlhelfern herzlichen Dank für ihre Unterstützung. Dies ist unser gemeinsamer Erfolg!"
Unser grüner schwuler Liebling sitzt also wieder im weichen Gestühl des Deutschen Bundestages und kann sich auf jene knapp existenzsichernde Pension freuen, die ihn nach zwei durchlittenen Legislaturperioden erwartet (die von seiner Partei geforderte "soziale" Grundsicherung beträgt, nebenbei, 800 Mark monatlich). Es wird ihn auch kaum jucken, daß seine Fraktion statt aus 49 nur noch aus 47 Abgeordneten besteht. Er selbst hat sich auch nichts vorzuwerfen: Sein Ergebnis war besser als das vieler Parteifreunde. Nachzutragen bleibt, daß Beck zwar bei den Zweitstimmen im Wahlkreis 59 um exakt 1.021 auf 20.389 zulegen konnte, was tatsächlich einer Steigerung von 15,6 auf 16,0 Prozent gegenüber 1994 entspricht. An Erststimmen verlor er im homophilsten aller Wahlkreise jedoch 431 und sackte mit nun 16.215 von 13,5 auf 12,8 Prozent ab. Und das bei lokal um zwei Prozent höherer Wahlbeteiligung.
Keine Frage, das unmittelbare Ziel, Volker Beck aus dem Bundestag hinauszuhelfen, haben wir verfehlt. Das eigentliche, wichtigere haben wir indes erreicht. Es gibt nach einer langen, bleiernen Zeit wieder eine Debatte um Richtung und Perspektiven emanzipatorischer Lesben- und Schwulenpolitik in Deutschland. Wir haben aufgestachelt, polarisiert und langjährige Wortführer der Bewegung zu eindeutiger Positionierung gezwungen; wir haben Unmengen an Informationen gesammelt, dabei viel hinzugelernt, haben am eigenen Leibe erleben dürfen, wie Rufmord und Verrat funktionieren, wie Intrigen geschmiedet, Macht und Einfluß gesichert werden, wie einst scharfe Kritiker des schwulen Beamtenunwesens unter Aufgabe ihrer kritischen Gesinnung selbst zu schwulen Beamten mutieren oder ihnen das Sein bestimmt das Bewußtsein willig ins Rektum kriechen. Solche Erfahrungen bilden ungemein und härten ab.
In den Monaten vor der Wahl ist viel passiert, was hier wegen akuter Zeitnot nicht kommentiert wurde. Da war vor allem der Christopher Street Day in Berlin, an dessen Organisierung Beck ab! sich beteiligte. Wir konnten durchsetzen, daß dessen Motto eben nicht bloß die Homo-Ehe forderte, sondern auch "keine Benachteiligung jener, die nicht heiraten wollen" eine klare Absage an ein Konzept, das selbstverständlich alle alternativen Lebensweisen diskriminiert. Zwar sprach für den Schwulenverband in Deutschland mal wieder sein grüner Star Volker Beck, aber der Auftritt war blaß und erschöpfte sich in einem Schwall der gewohnten Phrasen. Dafür mußte sich Beck gefallen lassen, daß auch Jürgen Nehm von Beck ab! sprach, und zwar im Namen des CSD-Forums. Nehm war unter Becks Beteiligung zwei Monate zuvor aus explizit politischen Gründen die SVD-Mitgliedschaft verweigert worden. Der SVD, der beim selben 10. Verbandstag die von jedem Emanzipationsgedanken unbelasteten Schwulen Christdemokraten für ihren Mut lobte und unter Ovationen zum Beitritt einlud, bleibt also ein "linkenfreies Biotop".
In der Berliner Szene hat Beck ab! un-terdessen für Wirbel gesorgt nicht nur im CSD-Vorbereitungskreis, in dem es dank unserer Intervention künftig demokratische Regularien geben und an dessen Beispiel sich erweisen wird, ob die lähmende Übermacht der schwulen Konservativen zu brechen ist. Anzeichen dafür gibt es zur Genüge: Aus den Auseinandersetzungen gingen nicht nur die Protagonisten von Beck ab! gestärkt hervor; überdies erwarb sich der SVD Berlin-Brandenburg durch rüdes Gebaren in dem Gremium einen zweifelhaften Ruf. So kündigte selbst der CSD-Pressesprecher Jürgen Bieniek seinen Austritt aus dem SVD an. Er habe gemerkt, daß dieser auf eine einzige Person zugeschnitten sei und dreimal darf man raten, wen er wohl damit meinte.
Der Rest war vor allem Wahlkampf. Die bloße Präsenz von Beck ab!-Leuten bei Beckschen Wahlforen zwischen Berlin und Bayern konnte den Kandidaten soweit aus der Fassung bringen, daß er Dinge äußerte, die er sich vordem tunlichst verkniffen hatte: Das Ehegattensplitting, dessen Streichung er stets sofort nach Einführung der Homo-Ehe angehen wollte, könne man, so sein aktuellster Rechtsschwenk, gar nicht ganz abschaffen, weil dies zu neuen Ungerechtigkeiten führen würde. Das neue Rezept bestehe darin, es "auf ein Realsplitting abzuschmelzen". Das egalitäre Prinzip der Individualbesteuerung ist mithin bei den Grünen endgültig über Bord gegangen. Und die Vielfalt der Lebensweisen? Die findet Beck derart schützenswert, daß er nun erst recht die Homo-Ehe will, denn: "Ungleiches kann man nicht gleich behandeln." Eine tolle Logik, da doch selbst Beck einleuchten sollte, daß Menschen erst durch die staatliche Privilegierung bestimmter Lebensweisen zu Ungleichen werden. Diesen Zustand gedenkt er zu zementieren, nicht zu beenden. Überkommenes in Frage zu stellen ist eben nicht Stärke eines Volker Beck. Und so tritt er ob aus Dummheit oder Zynismus sei dahingestellt weiter dafür ein, sogenannte binationale Homo-Paare "gleichzustellen". Wer hier faktisch mit wem gleichgestellt werden wird, liegt auf der Hand: Homosexuelle nämlich, die sich wie heterosexuelle weiße Mittelstandsdeutsche qua Heirat einen attraktiven Diener aus der sogenannten Zweiten oder Dritten Welt einkaufen wollen und sich dies finanziell leisten können. "Das Menschenrecht auf freie Wahl des Lebenspartners", das Becks reaktionären Ansatz mit dem Mäntelchen edler Gesinnung umhüllt, ist bekanntlich ohne ein bedingungsloses Aufenthaltsrecht für jeden Menschen in Deutschland allein das Recht des oder der wirtschaftlich Stärkeren, sprich: des zumeist deutschen Teils der Liaison. Zwangs-, "Vernunft"- und Scheinehen, Sexualsklaverei, kurz: der Menschenhandel werden damit keineswegs bekämpft, sondern ins "homosexuelle Milieu" ausgedehnt und dort juristisch abgesegnet. Das Konzept, das auch bei den Grünen einmal gegen dieses im Kern rassistische Prinzip stand, hieß indes "Offene Grenzen für alle". Es wird ausgehebelt mittels Gleichstellung im Negativen.
Jene aber, die diese Politik und damit ihn persönlich aus gutem Grund und mit Sachkunde kritisieren, denunziert Beck neuerdings mit dem kruden Vorwurf, sie träten für Eheverbote ein. Was im Gegensatz zur Entprivilegierung und -mystifizierung der Ehe niemals Thema seriöser Auseinandersetzungen war. Wie unsicher Beck sich seiner Sache wirklich ist, erweist sich daran, daß ihm selbst diese Lüge nicht mehr ausreicht: Ohne Skrupel knüpft er wider seine linken Kritiker/innen eine absurde Assoziationskette ganz besonderer Art, sprich: zu den NS-Rassegesetzen. Diese, so appelierte Beck im Wahlkampf mehrfach scheinheilig ans historische Verantwortungsgefühl, hätten ebenfalls Eheverbote beinhaltet, indem sie "Mischehen" zwischen "Ariern" und Juden respektive "Zigeunern" unter Strafe stellten. Das nun ist Demagogie reinsten Wassers, so setzt die bürgerliche Rechte radikal-emanzipatorische Linke mit Nazis gleich, und zwar auf unterstem Niveau.
Doch was sonst darf man von einem Schwulenpolitiker erwarten, für den die Termini Patriarchat und Sexismus nur mehr leere Propagandahülsen einiger "Ewiggestriger" sind und der mittlerweile wider alle feministische Theorie sogar bestreitet, daß die Ehe auch jenseits moralischer, ökonomischer und juristischer Privilegien normierend und restriktiv in bezug auf die freie Lebensgestaltung wirkt? Die Ehe, so behauptete Beck bei einer Veranstaltung am 8. September in der Berliner Kneipe Stiller Don, habe absolut nichts mit Sexualität oder der staatskonformen Ordnung von Sexualverhältnissen zu tun. Auf den schmalspurigen "Rechtsexperten" und sein getreues Bürgerliches Gesetzbuch mag das zutreffen. Aber auch auf die Millionen Frauen, die dank reaktionärer Paragraphen für "ihre" Männer sexuell allzeit verfügbar, weil wirtschaftlich abhängig sind? Beck jedenfalls fördert mit seiner frauenfeindlichen Politik letztlich beides: sexuelle und ökonomische Abhängigkeit. Um seinen argumentativen Blödsinn in ganzer Schönheit genießen zu können, sollte man getrost auch einen Gedanken an die zahlreichen Ehen verschwenden, die immer noch an sexueller "Untreue" scheitern.
All diese Ungereimtheiten gilt es in den kommenden Jahren stärker ins Bewußtsein zu rücken, um sich vom dann eventuell als "Bundesbeauftragter für Schwulenfragen" im Familien- oder Justizministerium agierenden Beck nicht sämtliche Wege zur Emanzipation verbauen zu lassen. Denn geben wir uns keinen Illusionen hin: Solche Karrieristen sind gefährlich; sie driften nur allzu leicht ins Reaktionäre ab, wenn es ihrem Aufstieg nutzt. Und so wird Beck vielleicht kleine Verbesserungen für eine begrenzte Klientel erreichen, aber damit grundlegende Fortschritte, einen Zuwachs an Freiheit für alle verhindern. Das ist das Maximum dessen, was ein Kanzler Schröder und seine grünen Vollstrecker zulassen werden, die für alles Mögliche stehen mögen, nur nicht für die radikale Revision gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen.
Der "schwule Bürgerrechtler" Beck, von geringer formaler Bildung, aber mit um so größerem Instinkt für die Macht, ist im Kampf um die freie, souveräne Entwicklung des Einzelnen längst Teil der Gegenseite, eines Establishments geworden, das nie für Befreiung, sondern allenfalls für maximale Teilhabe in der Unfreiheit stand. Und er wurde dazu nicht trotzdem, sondern weil er schwul ist. Der Biedermann Beck und bieder heißt wörtlich "brauchbar" erfüllt als Typus eine wichtige Funktion in diesem System: Er ist zugleich Alibi und Lockstoff, mit dem die Unangepaßten "freiwillig" oder unter juristisch-moralischem Zwang heim ins Reich von Vater Staat und Mutter Kirche geholt werden sollen.
Eike Stedefeldt