Positionen des whk, Ausgabe vom März 1999
Eine Zensur findet nicht statt
Denn die lesbisch-schwule Presse hat sich selbst gleichgeschaltet. Für radikale Gesellschaftskritik muß ein neues Medium her.
"Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, muß das Annoncengeschäft doch irgendwie einen starken Einfluß auf die politische und kulturelle Haltung der Blätter haben. (...) Das geschieht nicht so plump und simpel täte es das doch! , daß der Inseratenchef in die Redaktionsräume tritt und proklamiert: Von morgen an wird nichts mehr gegen den Alkohol geschrieben; von übermorgen an werden die Kinos gelobt. Der Einfluß ist stiller und gefährlicher. Die Zeitung von heute ist ein Geschäft und muß als solches auf seinen guten Absatz bedacht sein. Dadurch ist eine wirklich kulturfördernde Tätigkeit ausgeschlossen."
Mit gewohntem Scharfsinn beschrieb Kurt Tucholsky bereits in der Weltbühne vom 11. Dezember 1919, wie aus der Kombination von "Annoncengeschäft und Nachrichtenübermittlung jene üble Mischung herauskommt, die sich heute Presse nennt".
Was Tucholsky in seinem Artikel "Sozialisierung der Presse" schrieb, hat knapp 80 Jahre später nichts von seiner damaligen Aktualität eingebüßt. Eine neue Publikumszeitschrift, so der Hamburger Publizist Otto Köhler in einer Rede auf dem Mainzer Journalistinnen- und Journalistentag im Dezember 1991, entstehe "regelmäßig dann, wenn sich eine Marktlücke öffnet, das heißt, wenn eine Zielgruppe entdeckt wird, die von der Industrie noch nicht hinreichend beworben ist. Die Zeitschrift hat Bestand, wenn es gelingt, eine qualifizierte Konsumentengruppe derart zu binden, daß ihre Bewerbung für Teile der Wirtschaft hinreichend interessant wird, um der Zeitschrift durch Anzeigen jene finanzielle Grundlage zu verschaffen, die in der Regel durch den vom Leser erlösten Verkaufspreis nicht mehr gegeben ist. Zu diesen Anzeigen wird ein auf die entsprechende Konsumentengruppe gerichtetes redaktionelles Umfeld geschaffen."
Die Folgen dieser ökonomistischen Logik werden mehr und mehr auch in den Periodika sogenannter sozialer Minderheiten sichtbar. Insbesondere die Lesben- und Schwulenpresse unterlag im letzten Jahrzehnt einem rasanten Wandel. Noch 1989/1991 wurden Blätter mit explizit politischem Anspruch gegründet; sie sollten Gegenöffentlichkeit zum konservativen Mainstream sein, Minderheitenpositionen vernehmbar machen, alternative Lebensweisen vorstellen, propagieren und verteidigen, kritisch auch mit den eigenen subkulturellen Geschehnissen und Zuständen umgehen. Kurz: Sie sollten im eigentlichen, im besten Sinne journalistisch sein.
Was aber ist aus diesen Projekten geworden? Eine knappe Betrachtung allein der zwischen 1988 und 1991 in der Lesben- und Schwulenszene gegründeten Organe führt zu ernüchternden Resultaten: Magnus, die Fusion der Berliner Siegessäule und des Rosa Flieder aus Nürnberg, sollte ein überregionales schwulenpolitisches Magazin werden, ein schwuler Spiegel. Heraus kam letztlich eine schwule Petra, die sich nicht entscheiden konnte und wollte zwischen Links und Rechts, Lifestyle und Politik, Szene- und Hochkultur. Das "anything goes" führte letztlich zum "Rien ne va plus" in den Konkurs. Männer aktuell aus dem politisch der CDU nahestehenden Verlag Bruno Gmünder war erfolgreicher, weil es sich klar für Unterleib und Kommerz entschied; Politik wird dort weder inhaltlich beherrscht noch vermittelt. Ebenso Die Andere Welt: Die erste DDR-Lesben- und Schwulenzeitung wurde 1993 personell gesäubert, und seitdem hat sie niemand mehr als "Schwulen-ND" denunziert. Völlig zu Recht; heute ist sie nur mehr ein Anzeigenblatt ohne Relevanz.
Von Anbeginn rechts stand hingegen die 1988 vom Ex-Nazi Jürgen Neumann gegründete Kölner First, und auch der Gay Express (Berlin, Frankfurt/M., Hamburg) versucht sich gar nicht erst an seriösem Journalismus. Besagtes Druckwerk ist, wie alle seine Kollegen vom Anzeigenstrich, zunächst dem Kommerz verpflichtet und füllt ansonsten den Platz zwischen den Inseraten mit Belanglosem oder bestenfalls der kruden Normierungs-Ideologie des Schwulenverbandes in Deutschland (SVD) und seiner angeschlossenen Anstalten.
Aus der 1991 in Dortmund gegründeten regionalen, politisch links stehenden Rosa Zone wurde unterdessen ein bundesweites Gratisblatt namens Queer, dessen Erfolg eher in Kilogramm und Auflagenhöhe meßbar ist denn in publizistischem Anspruch. Queer ist zum Zentralorgan der "neuen schwulen Mitte" avanciert und grenzt sich folgerichtig nicht nach rechts, sondern ausdrücklich nach links außen ab. "Queer dir deine Meinung" ist inzwischen zum geflügelten Wort geworden innerhalb der emanzipatorisch orientierten, systemkritischen Lesben- und Schwulenszene. Tatsächlich weist sie nicht nur durch ihren boulevardesken Stil und redaktionelle Schlampigkeit einiges an Ähnlichkeiten mit dem großen Springerschen Vorbild auf: Häme und Hetze gegen ausgewiesene Linke, den latenten Rassismus der neuen Mitte in Form ausländerfeindlicher Artikel, den Geschichtsrevisionismus der "selbstbewußten Nation" inklusive der Verharmlosung des Massenmordes an den europäischen Juden, Toleranz gegenüber der extremen Rechten und eine stramm konservative Identitätspolitik, die letztlich der Einordnung der Lesben und Schwulen in die "Volksgemeinschaft" den Boden ebnet. Redaktion und Mitarbeiter rekrutieren sich heute zu großen Teilen aus SVD- und sogar CDU-Personal bestenfalls aus Unpolitischen , was die Einhaltung eben dieser Blattlinie garantiert.
Nicht zu vergessen sind hier einerseits noch die ehrenamtlichen Regionalmagazine mit naturgemäß geringem Einfluß (z.B. Rosige Zeiten aus Oldenburg, LUST aus Wiesbaden) sowie andererseits die schwul-lesbischen oder rein schwulen Stadtmagazine wie Hinnerk (Hamburg), Sergej und Siegessäule (Berlin), Our Munich (München) und Gab (Frankfurt am Main). Mit Ausnahme allenfalls von Hinnerk findet auch dort kaum mehr seriöse Publizistik statt; diese Medien insbesondere sind dazu da, eine interessante Kundengruppe zu definieren für das regionale und lokale Kleingewerbe. Davon leben sie nicht vom kritischen Journalismus oder der Nachrichtenübermittlung. Beides ist lediglich arabeskes Beiwerk. Punktum: Die deutsche Lesben- und Schwulenpresse ist weitgehend zu einem vor Langeweile strotzenden, indifferenten Eiapoppeia degeneriert und damit eine detailgetreue Widerspiegelung des Spektrums, dem sie entspringt. Es ist die Mehrheitsgesellschaft im Kleinformat.
Damit fragt sich allerdings, wo dann noch überregionaler politischer Austausch, kontroverse Debatten um Strategien, Utopien, gesellschaftliche Konzepte stattfinden sollen. Wo könnte, wenn es sie denn gibt und wenn sie gebraucht werden (davon ist zumindest das whk überzeugt), noch wissenschaftlich fundierte Systemkritik vermittelt werden? Eine, die Geschlechterhierachien, Sexualverhältnisse, konservative Familienideologien, wohlfeile Mythen wie die Ehe und die irrationale Liebe zum "eigenen Fleisch und Blut" in Beziehung setzt mit Kapitalismus, Kolonialismus, Militarismus? Wer wäre noch willens und in der Lage, Bildung zu vermitteln, die zu kritischer Analyse und selbstbewußtem Handeln befähigt in dieser öden Landschaft? Wo, um es knapp zu fassen, ist die Gegenöffentlichkeit geblieben, die sich in sexualemanzipatorischem Sinne wehrt gegen die Definition, Vereinnahmung und letztliche Paralyse von Minderheiten im Dienste einer monolithischen Gesellschaft?
Das whk hält diese Gegenöffentlichkeit für nahezu vollständig abhanden gekommen. Oberstes Ziel in dieser Situation muß nach Auffassung des whk neben der medialen Wiederzusammenführung der "Linken" die Zugänglichmachung sexualpolitischer Bildung und alternativer Gesellschaftskonzepte sowie die Emanzipation von den weitgehend gleichgeschalteten Strukturen innerhalb der "Szene" sein.
Da den "Linken" der Zugang zu den im Wortsinne einschlägigen Medien versagt ist, brauchen sie also ein neues, ein eigenes Printmedium mit klarer Linie, das aus publizistischem und nicht kommerziellem Interesse heraus entstehen muß, das sich jede Frechheit und Schärfe erlauben kann und darf, das auf keine künstlich herbeigeschriebene "Community" Rücksicht nimmt und auch in der "Szene" untrüglich den politischen Gegner zu erkennen vermag.
Bereits die erste Publikation der Positionen des whk vom Januar 1999 ("Spritztour zum KZ") hat erwiesen, wie schlagkräftig selbst magere vier Seiten Text sein können: Ein empörter Aufschrei der Konservativen war die Folge, den wir überaus genossen haben. Zudem hat uns dies gezeigt, in welche inhaltliche und stilistische Richtung sich die künftige, vom Förderverein des whk herausgegebene Zeitschrift bewegen muß, um ihre Leserinnen und Leser zu finden. Die Rückmeldungen aus dem linken Spektrum waren nicht unkritisch, aber durchweg anerkennend. Somit verfügt die kleine Redaktion über einen ersten selbstgebastelten Maßstab für die weitere Arbeit und kann hiermit fröhlich das Erscheinen von "Gigi Zeitschrift für sexuelle Emanzipation" zum 1. April 1999 annoncieren.
Eike Stedefeldt
Aufruf
für eine sexualemanzipatorische Zeitschrift
Die lesbisch-schwule Presselandschaft ist verödet. Kommerzialisierung, politische Indifferenz und redaktionelle Mittelmäßigkeit prägen die bundesweite Monatspresse. Emanzipatorisches Gedankengut, subtile Analysen, wissenschaftliche Erkenntnisse, fundierte Gesellschaftskritik finden in dieser Subkultur kein Medium mehr. Dringender denn je wird heute eine sexualpolitische Zeitschrift gebraucht. Das wiedergegründete wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) hat sich entschlossen, diese Leere zu füllen. Wir haben die technischen und redaktionellen Grundlagen für die Produktion einer Zeitschrift geschaffen, was wir noch brauchen, ist die Unterstützung derjenigen, denen wie uns in diesem Vakuum die Luft zum Atmen fehlt.
Was wir wollen, ist eine Zeitschrift, die
- journalistisch gemacht und zitierfähig ist;
- beim Publikum nicht auf dessen Dummheit spekuliert;
- ihre Existenz nicht auf kommerzielle Verwertung des menschlichen Körpers gründet;
- sich nicht als Sprachrohr schwuler Bürgerrechtler mißbrauchen läßt;
- die Gesellschaft noch in soziale Klassen einzuteilen vermag;
- die Kirche im Dorf läßt und nur dort;
- sich nicht scheut, auch schwule und lesbische SoldatInnen als Mörder zu bezeichnen;
- den Mythos der Zweigeschlechtlichkeit als soziale Konstruktion entschlüsselt;
- sich rektaler Integrationspolitik verweigert und
- Feminismus und Patriarchatskritik nicht unter Fremd- oder Schimpfwörter einordnet;
- die Vielfalt der Lebensformen statt ihrer Gleichschaltung propagiert;
- jedwede Art von Diskriminierung und Unterdrückung bekämpft, insbesondere rassistische.
Die Zeitschrift, die dies alles leisten kann, muß erst noch geboren werden. Das wird voraussichtlich am 1. April 1999 geschehen. Ihr Titel lautet "Gigi Zeitschrift für sexuelle Emanzipation"; die erste Ausgabe wird betreut von Udo Badelt, Stefan Strigler, Jürgen Nehm, Eike Stedefeldt und Georg Klauda. "Gigi" wird zweimonatlich mit regulär 36 Seiten im Urning Verlag Frankfurt/Main erscheinen und im Freiverkauf zum Preis von 4 DM erhältlich sein. Im Abonnement ist sie selbstverständlich billiger und wird im Jahresabo 20 DM kosten. Ein gewisser Grundstock an Abonnements wird den Start erleichtern, deshalb rufen Verlag, Herausgeber und Redaktion zu sofortigen Bestellungen an folgende Adresse auf:
Redaktion "Gigi"
Postfach 080208
10002 Berlin.Anfragen, Anzeigenaufträge, Pressemitteilungen, Abonnements sind möglich unter: Telefon/Telefax: 0180/4444945; e-mail: redaktion@gigi-online.de
Was ist das whk?
Das whk hat sich Ende Oktober 1998 in Berlin als Nachfolgerin des historischen, 1897 geründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitees konstituiert. Es begreift sich nicht als "Interessenvertretung" von Homosexuellen, sondern sieht sich in der Tradition einer identitätsübergreifenden Allianz von sexuellen und transgeschlechtlichen Bewegungen. Wenn es sich gut hundert Jahre nach seiner Gründung und 65 Jahre nach seiner Zerschlagung durch die Nazis wieder organisiert, um erneut an den Grundfesten der Kategorien von Sexualität und Geschlecht zu rütteln, dann freilich nicht mehr mit den biologistischen Vorstellungen seines Vorvaters Magnus Hirschfeld, der Sexualität und Geschlecht letztlich für natürliche Gegebenheiten hielt, sondern mit dem Wissen, daß es sich um integrale Konzepte des bürgerlichen Nationalstaats handelt, durch die Menschen in ihre gesellschaftliche Rollen gezwungen werden. Ihre Infragestellung und Repolitisierung gilt dem Komitee als Teil umfassender emanzipatorischer Bemühungen.
Freilich muß dies, wie vor hundert Jahren, Widerstand und Empörung bei Arrivierten und Konformisten hervorrufen allerdings mit dem Unterschied, daß dazu heute die Wortführer der Schwulenszene zählen. Das whk sei ein "Fall für die Verbraucherzentrale", eine "linke schwule Splittergruppe" und rekrutiere sich aus "selbsternannten linken Erben des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK) des Bürgerlichen Magnus Hirschfeld", urteilte gewohnt treffsicher die Kölner Anzeigenzeitung Queer, und das Berliner Terminblatt Siegessäule empörte sich über eine "publikumswirksame Hochamtsanmaßung" durch "selbsternannte Aufklärer". Das whk kann mit solch inhaltsleerem Geschreibsel gut leben; was könnte für Linke auch ehrenrührig daran sein, von rechts angebellt zu werden? Schade ist nur, daß zu dessen massenhaften Verbreitung Bäume gefällt werden.