Mitteilungen des whk Januar/Februar 2003
Vorsicht, Giftspritze!Am 14. Dezember verlautbarte die Charité-Pressestelle mit sechs Wochen Verspätung: Mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik ist Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Dörner, Emeritus der Charité, von Bundespräsident Johannes Rau ausgezeichnet worden. Dörner war von 1962 bis 1997 Direktor des Instituts für Experimentelle Endokrinologie der Charité. Er habe dem Institut, so Rau in seiner Würdigung, schon zu Zeiten der DDR nationales und internationales Profil verliehen In viele Forschungsgruppen hineingewirkt habe das von Dörner entwickelte neue wissenschaftliche Feld der funktionellen Teratologie. Was es damit auf sich hat, kommentierte das whk als erste Gruppierung aus dem Homo-Spektrum am 2. Dezember: Rau habe Dörner fern der Öffentlichkeit ausdrücklich für seine medizinischen Versuche geehrt, Homosexualität zu verhindern und damit eine ganze Riege furchtbarer Mediziner heim ins Reich geholt, denen Dörner schon in den 60er und 70er Jahren die wissenschaftliche Begründung für die Fortsetzung der schon an KZ-Häftlingen durchgeführten Experimente lieferte. So empfahl der bereits in Nazi-Deutschland tätige Kasseler Kriminologe Gustav Nass in den 70er Jahren Dörners Ideen als probates Mittel zur pränatalen Verhinderung abnormen Sexualverhaltens verschiedener Art ... Auch Nass Göttinger Kollege Fritz Roeder berief sich noch Mitte der 70er in einer vom hessischen Justizministerium mitherausgegebenen Schrift explizit auf Dörners Rattenexperimente bei der Behandlung homosexueller Straftäter durch hirnverstümmelnde Eingriffe ... Besonders deutlich läßt sich Dörners Einfluß im seinerzeit von Schulte-Tölle neu edierten Lehrbuch Psychiatrie nachweisen, in dem nicht mehr von der bloßen Anwendung bei Straftätern, sondern ganz allgemein von der Korrektur von Fehlhaltungen die Rede ist ... Anhaltende Kritik aus Sexualwissenschaft und Schwulenbewegung zwang Dörner immer wieder zu taktischen Manövern. So reklamierte er vor der Wende im Fernsehen der DDR allen Ernstes die dortige Liberalisierung als sein Verdienst und hatte damit manchmal sogar in der Szene Erfolg: Es wäre ... dumm und kürzschlüssig, in Günter Dörner einen Schwulenhasser zu sehen, der uns wegspritzten (lassen) will. So etwas hat er früher einmal laut überlegt, verteidigte ihn 1991 Ralf Dose von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft im Schwulenmagazin Magnus. Damit distanzierte sich Dose klar von der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, die Dörner zehn Jahre zuvor nachgewiesen hatte, sein Ziel sei das Ausmerzen der Homosexualität mittels radikaler endokriner Eingriffe.
Postwendend erbaten verschiedene Redaktionen Hintergrundinformationen. So brachte die Tageszeitung junge Welt am 21. Dezember ein ganzseitiges Interview mit dem whk Rheinland und bestellten die Monatsblätter konkret und analyse & kritik sowie die Oldenburger Rosigen Zeiten vertiefende Artikel. Unfähig, dessen politische Dimension zu erfassen, und ohne die whk-Stellungnahme zu erwähnen, stutzte die Homo-Kommerz-Presse den Skandal zur Kurzmeldung. Erwähnt wurde nur der Offene Brief des Berliner Medizinhistorikers Günter Grau vom 4. Dezember an Rau, den trotz seines untertänigen Tons auch das whk unterstützte.
Kein Betriebsunfall
Am selben 4. Oktober 2002 erhielt jemand ein Bundesverdienstkreuz für die Stärkung der Bürgerrechte, die Verteidigung des Rechtsstaates sowie die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Minderheiten. Auch dies kommentierte das whk in der erwähnten Presseerklärung vom 2. Dezember: Daß der sich selbst als homosexuell bezeichnende Volker Beck (MdB) bei der selben Zeremonie lediglich ein Verdienstkreuz für sein berufliches Engagement bekam, der in der Schwulenszene Ratten-Dörner Genannte jedoch gleich zwei Kategorien höher bewertet wurde, dürfte selbst konservativen Bürgerrechtlern wie Beck ihren Status in Rot-Grün-Deutschland klarmachen: Das war kein politischer Betriebsunfall. Frei und selbstbewußt gelebte Homosexualität soll verhindert werden, ob mittels Homo-Ehe oder der Lösung der Homosexuellenfrage im Mutterleib. Eine Anfrage an die grüne Bundestagsfraktion (Wir gehen davon aus, daß Herr Beck seine Auszeichnung aus Protest gegen diesen Affront der Schwulenbewegung, in der er seit Jahren selbst aktiv ist, zurückgeben wird. Wann und mit welcher Begründung wird er dies tun?) blieb unbeantwortet.
Getroffene Hunde
Bereits seit längerem kritisiert das whk den Umgang mit dem Gedenken an NS-Opfer sowie dessen Unterstützern beim Berliner Projekt Stolpersteine (vgl. Stolpersteine, Gigi Nr. 19). Am 19. Dezember machte die Berliner whk-Gruppe dies öffentlich: Am 6. April 2002 teilte das whk der Leiterin des Heimatmuseums Friedrichshain-Kreuzberg mit, es wolle die Patenschaft für einen Stolperstein zum Gedenken an eines Opfers des §175 RStGB übernehmen. Dieser Stein konnte aufgrund des respektlosen Verwaltungshandelns bis heute nicht eingeweiht werden ... Im Projekt Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig werden vor den letzten Wohnadressen deportierter und ermordeter NS-Opfer Messingplatten mit deren Lebensdaten in den Gehweg eingelassen. Noch im April behauptete die Museumsleiterin Heike Naumann, es seien keine Adressen von homosexuellen Opfern bekannt; diese müßten erst recherchiert werden. Tatsächlich hatte aber bereits geraume Zeit zuvor das Schwule Museum Berlin dem Heimatmuseum eine ganze Liste mit Namen und Adressen zur Verfügung gestellt. Damit konfrontiert, erklärte Frau Naumann, jene Listen seien unvollständig bzw. nicht auf dem neuesten Forschungsstand und müßten durch die ABM-Kraft Jens Dobler erst nachrecherchiert werden. Dennoch lieferte sie mit gleicher Post Angaben zu einem homosexuellen Opfer, dessen Personalie es jedoch gleichzeitig als Täter entlarvte: Fritz Dubinski war Wachmann in einem Zwangsarbeiterlager im Grunewald gewesen. Auf diesen Skandal angesprochen, räumte Naumann ein, die Zuarbeit des Nicht-Historikers Dobler also der zwecks neuestem Forschungsstand eingestellten ABM-Kraft nicht geprüft zu haben. Erst auf Nachfrage wurde dem whk Mitte Mai eine weitere Opfer-Personalie vorgelegt. Das whk ließ sie von einem sachkundigen Historiker in Hannover prüfen und erteilte daraufhin Mitte Juni den Auftrag zur Anfertigung des Stolpersteins für Richard Miersch. Nach monatelangem Stillschweigen sah sich das whk Mitte September gezwungen, abermals den Sachstand zu erfragen und erfuhr zu seinem Entsetzen, daß der Stolperstein längst gesetzt worden war absprachewidrig in Abwesenheit seines Stifters. Um diesem unwürdigen Treiben ein Ende zu bereiten, reichte das whk am 21. 9. 2002 über Kultursenator Dr. Thomas Flierl (PDS) Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde gegen die Museumsleiterin ein. In ihrer Reaktion verniedlichte die zuständige Bürgermeisterin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Cornelia Reinauer (PDS), den Skandal und deckte mit Begriffen wie Irritationen und Mißverständnissen die Inkompetenz der ihr unterstehenden Kräfte Naumann und Dobler. Dreist bagatellisierte sie die Tatsache, daß dem whk ein Nazitäter als Naziopfer untergejubelt werden sollte, als nicht unumstrittenen Vorschlag. Die darauf erfolgte Einreichung einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Reinauer beim nach Selbstdarstellung schwulen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), erbrachte trotz angemessener Fristsetzung bisher keine akzeptable Klärung, geschweige denn personelle Konsequenzen. Für das whk illustriert der fortgesetzte Affront der Friedrichshain-Kreuzberger Bezirks- und der Berliner Landesregierung auf erschreckende Weise die Geschichtsvergessenheit beim Rechtsnachfolger des Dritten Reiches und die mangelnde Sensibilität gegenüber seinen NS-Opfern. Das whk distanziert sich nicht vom Gedenken an Richard Miersch und wird seinen Gedenkstein zu gegebener Zeit selbst einweihen. Es distanziert sich jedoch ausdrücklich von jenen, die den Ruf des Projekts Stolpersteine derart leichtfertig beschädigten. Wer sich ernsthaft dem Andenken der NS-Opfer verpflichtet fühlt, sollte sich besser seriöse Partner suchen.
Angegriffen von dieser Erklärung fühlten sich interessanterweise nicht Senat, Bezirk oder Museum, sondern die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (MHG). Deren Mitarbeiter Andreas Pretzel zieh per Pressemitteilung am 22. Dezember den Stolperstein-Paten whk allen Ernstes einer Verleumdungskampagne gegen homosexuelle NS-Opfer, um ihr Andenken öffentlich in den Schmutz zu treten. Für eine individuelle Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung bedarf es der Betrachtung der Lebensgeschichten und Verfolgungsschicksale in all ihren Facetten, plusterte sich Pretzel auf, als sei das dem whk ermöglicht worden. In der dem whk vorgelegten Dubinski-Personalie fehlten nämlich die entscheidenden Angaben, die Pretzel und die MHG, der auch Museums-Mitarbeiter Jens Dobler angehört, erst ein halbes Jahr später mitteilten: Nach seinen Forschungen war der Verstorbene ... Arbeiter, seit seiner Jugend in diversen Berliner Betrieben beschäftigt. 1942 wurde er, wie viele Männer und Frauen an der inneren Arbeitsfront des NS-Regimes, dienstverpflichtet. Als Vorbestrafter kam er nicht in die Rüstungsproduktion, sondern wurde als Wachmann einem Lager für ausländische Zwangsarbeiter zugeteilt. Die zu ihm überlieferten historischen Quellen berichten u.a. über seine Hilfe für Ukrainer, sie schildern einen Mann, der mit ihnen sein Essen teilte ...
Statt sich nun beim whk für die skandalöse Nichtinformation zu entschuldigen, behauptete Pretzel: Es ist nicht das erste Mal, daß das whk NS-Opfer als Nazi-Täter beschimpft. Der Wortlaut des denunzierenden MHG-Pamphlets sowie eine ausführliche Stellungnahme des whk dazu sind unter www.whk.de nachlesbar, was es mit dem Rufmord auf sich hat, in Gigi Nr. 24.
Ein klares Bekenntnis
Eine Intervention des whk Rheinland druckte das sexualpolitisch gemeinte Gewerkschaftsorgan verdi-Report in Heft 14 unter Briefe Kritik Beiträge. Gegenstand war dessen notorisch unkritische bis zustimmende Berichterstattung zu homopolitischen Themen wie der Registrierten Partnerschaft, vor allem jedoch zur Verleihung des Max-Spohr-Preises an die Deutsche Bank im April 2002, über die auch der verdi-Report in seiner Sommerausgabe zum CSD ausführlicher berichtete (vgl. Mitteilungen des whk, in: Gigi Nr. 20). Von einem Periodikum aus dem gewerkschaftlichen Bereich sei zu erwarten, daß es berechtigte (Arbeitnehmer-) Kritik aus der Lesben- und Schwulenszene nicht einfach unterschlägt, schrieb whk-Landessprecher und verdi-Kollege Dirk Ruder an Redakteur Klaus Timm. Das Magazin habe den KollegInnen jedoch nicht nur vorsätzlich die Pressemitteilung verschwiegen, die die AG Schwulenpolitik des whk noch am Tag der Preisverleihung am 14. April 2002 an alle Redaktionen schickte, sondern auch die Kritik aus der Szene insgesamt. Während in erwähnter Ausgabe des verdi-Rundbriefs lediglich Lea Roshs blamable Laudatio auf die Deutsche Bank unkommentiert wiedergegeben worden sei, hätten selbst Teile der kommerziellen Schwulenpresse den Vorfall als Verhöhnung der NS-Opfer bezeichnet. Ruder: Während die Opfer der von der Deutschen Bank maßgeblich finanzierten Diktatur nach dem Schlußstrich-Gesetz der rot-grünen Bundesregierung nunmehr endgültig finanziell leer ausgehen etwa die Rosa-Winkel-Häftlinge, für deren finanzielle Entschädigung die Schwulenbewegung immer vorrangig kämpfte läßt sich der Global Player Deutsche Bank dreist für die freundliche Art der Ausbeutung seiner Mitarbeiter feiern. Und Ihr macht bei dieser von homophilen Claqeuren [des Gay Manager Verbands Völklinger Kreis] inszenierten Propagandashow auch noch fröhlich mit. Habt ihr den Verstand verloren? Die Antwort lautet genäß Anmerkung der Redaktion klar Ja!: Es ist tatsächlich offizielle verdi-Position, daß auch Lesben und Schwule die gleichen ehelichen Rechte und Pflichten erhalten sollten wie heterosexuelle. Insofern hat unsere Publikation die gewerkschaftlich geforderte Gleichstellung, die ja immer noch nicht erreicht ist, in der Berichterstattung selbstverständlich dokumentiert. Es ist auch verdi-Position, daß betriebliche Maßnahmen zur Akzeptanzförderung von Lesben und Schwulen voranzutreiben bzw. zu unterstützen sind (Stichwort: Andidiskriminierungs- und Gleichstellungsarbeit). Der vom Völklinger Kreis verliehene Max-Spohr-Preis zeichnet entsprechende Betriebe aus. Zweifellos ist ein diskriminierungsfreies Betriebsklima im Leistungsergebnis auch effektiver sprich profitabler. Das gilt auch bei Mobbing-Prävention, Gesundheitsförderung, Teilzeitarbeit, usw. Allerdings: Wir teilen die Auffassung des Koll. Ruder, daß Unternehmenspolitik nicht dadurch verklärt werden darf, daß sie Führungsinstrumente wie Diversity (kurz: Wertschätzung der Unterschiedlichkeiten) verwendet.