Dokumentation
Deutscher Presserat
Beschwerdeausschuß
Postfach 7160
53071 Bonn
Berlin, 27. 8. 2005
Beschwerde gegen die BILD-Zeitung
Sehr geehrte Damen und Herren,
am 27. Juni 2005 veröffentlichte die "BILD"-Zeitung unter der Überschrift "Hier werden zwei Kinderschänder gehängt" ein Foto, auf dem die öffentliche Hinrichtung von zwei Jugendlichen im Iran zu sehen zu sehen ist, einer von ihnen minderjährig. In einer zweispaltigen Bildunterschrift schreibt das Blatt dann vollständig: "TEHERAN Ihre Augen sind verbunden, die vermummten Henker legen ihnen die Stricke um den Hals: Wenige Sekunden später sind diese beiden Kinderschänder tot. Die jungen Männer waren von einem iranischen Gericht zum Tode verurteilt worden, weil sie einen 13jährigen Jungen entführt und vergewaltigt haben sollen."
Das whk legt hiermit Beschwerde wegen aller in Frage kommenden Verstöße gegen den Deutschen Pressekodex ein. Das whk sieht insbesondere durch die sensationell aufgemachte (und neben einem Foto eines Erotik-Models plazierte) bildliche Darstellung der Hinrichtung, durch die reißerische Bildüberschrift sowie durch die irreführende Bildunterschrift die Würde der umgebrachten Jungen verletzt, bei denen es sich um wehrlose Opfer eines kaltblütig begangenen Justizmords handelt.
Zur Begründung ist zunächst festzustellen, daß die Darstellung, es handele sich bei den zum Tode verurteilten Jungen um "Kinderschänder" (ein heute wieder allgemein akzeptierter Begriff aus der Nazi-Zeit) trotz uneindeutiger bzw. nicht bestätigter Quellen deutlich von den Berichten sämtlicher anderen nationalen wie internationalen Medien abweicht. So stellte etwa der in Wien erscheinende "Standard" den Fall vollkommen anders dar, indem er mit entsprechender Quellenangabe darauf verwies, die beiden Jungen, die zum Zeitpunkt der Hinrichtung nach europäischem Recht selbst noch als Kinder gegolten hätten, seien weniger wegen sexu-ellen Kindesmißbrauchs als wegen einvernehmlicher und miteinander begangener sexueller Handlungen verurteilt und inhaftiert worden. Erst später (!) sei von den Behörden die (kaum glaubwürdige) Begründung hinzugefügt worden, die Inhaftierten hätten im Gefängnis einen 13-jährigen Jungen vergewaltigt. In dem "Standard"-Artikel heißt es übereinstimmend mit der Darstellung auch anderer Medien: "Vorgeworfen wurde den Burschen Angehörigen der arabischen Minderheit im Iran , im gegenseitigen Einverständnis Sex miteinander gehabt zu haben. Darauf steht laut iranischem Strafgesetz der Tod bei Schwulen, wenn "vier rechtschaffene Männer" als Zeugen aussagen, bei Lesben nach bezeugter dreimaliger Wiederholung. Doch selbst das martialische, von der islamischen Scharia beeinflußte Rechtswerk be-schränkt solche Hinrichtungen auf Volljährige. Die Burschen hätten auch einen 13-Jährigen 'geschändet', rückten daraufhin offizielle iranische Medien die angeblich besondere Verwerflichkeit der Vorkommnisse in den Mittelpunkt. Prompt erfuhren die internationalen Proteste einen Dämpfer, vor allem jene aus den USA." (vgl. "Tod durch Strick wegen schwuler Liebe" von Irene Bruckner in: Der Standard [Printausgabe], Wien, 1. August 2005)
Indem die "BILD"-Zeitung, nachdem bereits zahlreiche Nachrichtenagenturen den Fall völlig anderslautend international verbreitet hatten, diese Fakten offenbar bewußt unterschlägt, macht sie nicht nur aus Opfern zu Tätern eines verabscheuungswürdigen Verbrechens, sie verstößt zudem auch gegen die durch im Pressekodex geregelte Unschuldsvermutung, die insbesondere angesichts einer nicht demokratisch legitimierten Justiz totalitärer Regime zu gelten hat. Zudem ignoriert die Zeitung in ihrer Darstellung vollkommen, daß die Jungen Angehörige der im Iran staatlich diskriminierten und verfolgten arabischen Minderheit angehören, was die Darstellung der Behörden, es handele sich um "Kinderschänder", zusätzlich fragwürdig erscheinen läßt.
Die Verfehlung der Zeitung wiegt um so schwerer, da zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits zahlreiche Menschenrechtsgruppen, darunter "anmesty international", und sogar Bundestagspolitiker gegen die Hinrichtungen protestiert hatten. Nicht zuletzt geriet auch der hier angezeigte Bericht der "BILD"-Zeitung bei anderen Medien in die Kritik. Unter anderem kommentierte das lesbisch-schwule Online-Portal "Queer.de" mit Verweis auf den Pressekodex:
"Für die Zeitung sind trotz aller Zweifel die Fakten klar: Die Jugendlichen im Iran wurden als 'Kinderschänder' gehängt. Während sich die Szene in Deutschland über die Hinrichtung zweier Jugendlicher im Iran aufregt, freut sich 'BILD' am Mittwoch auf der Titelseite ... Aber 'BILD' schmeißt alle berechtigten Zweifel einfach beiseite. 'Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen', sagt dazu Ziffer Zwei des Pressekodex, der auch fordert, Nachrichten mit der gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen'. Ziffer Neun sagt: 'Es widerspricht journalistischem Anstand, unbegründete Behauptungen und Beschuldigungen, insbesondere ehrverletzender Natur, zu veröffentlichen.' In Ziffer Dreizehn, die sich mit der Vorverurteilung von eventuellen Straftätern befaßt, heißt es unter anderem: 'Vorverurteilende Darstellungen und Behauptungen verstoßen gegen den verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde, der uneingeschränkt auch für Straftäter gilt. Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines 'Medien-Prangers' sein. Daher ist zwischen Verdacht und erwiesener Schuld in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.' Das alles gilt jedoch vor einem gerichtlichen Schuldspruch, den 'BILD' als erwiesen darstellt." (vgl. www.queer.de/meinung_homogurke_detail.php?article_id=3190&ptitle=Bild)
Abschließend ist festzustellen, daß die "BILD"-Zeitung in der Bildunterschrift zumindest suggeriert, die Hinrichtung sei in Teheran vollstreckt worden, obwohl alle westlichen Medien unter Berufung auf die im Irak ansässige studentische Nachrichtenagentur ISNA berichten, die beiden Jungen, deren Namen mit Mohammad Askari und Ayad Marhuni angegeben wer-den, seien in der Stadt Mashad getötet worden.
Was whk bittet den Presserat darum, den in Rede stehenden Artikel zu prüfen und gegen die "BILD"-Zeitung eine öffentliche Rüge wegen Verstoßes gegen die entsprechenden Ziffern des Pressekodex auszusprechen.
Mit freundlichen GrüßenEike Stedefeldt
Anlage: Computerscan des Artikels "Hier werden zwei Kinderschänder gehängt" erschienen in der "BILD"-Zeitung vom 27. 07. 2005