Mitteilungen des whk Juli/August 2004
Mit deutschem Gruß (1)
Vorgänge um den diesjährigen Kölner CSD kommentierte das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) am 16. Juni in der Presse mitteilung Deutscher Gruß vom Kölner Lesben- und Schwulentag. Der Cologne Pride 2004 am 4. Juli wurde bekanntlich vom Nazi-Lieblingslabel Lonsdale gesponsert, zudem gab das offizielle CSD-Programmheft dem rechten Bündnis Pro Köln in Vorfeld zur nordrhein-westfälischen Kommunalwahl am 26. September ein Podium. (vgl. auch Wahlhilfe auf Seite 21 in diesem Heft.) Es gehöre schon einiges an Chuzpe dazu, das Sponsoring der Kölner Homoparade CSD durch Modelabel allen Ernstes als positives Zeichen für die Akzeptanz von gesellschaftlichen Minderheiten zu verkaufen, wie es der veranstaltende Kölner Lesben- und Schwulentag (KLUST) im CSD-Programmheft hinbekommt, kritisierte das Komitee. Die Entscheidung des KLUST für einen derart umstrittenen Sponsor sei mehr als instinktlos und setzt für den Christopher Street Day in Köln ein verheerendes politisches Signal. Die Marke Lonsdale werde vor allem in der rechten Skinheadszene wegen der auf die NSDAP verweisenden Buchstabenfolge NSDA im Labelnamen getragen, womit sie als Botschafter homosexuellen Selbstbewußtseins ... für alle Zeiten ungeeignet sei. Auch die Parteienbefragung im CSD-Programm hält das whk für mehr als fragwürdig. So fordere das dort als Wahlalternative für die Community vorgestellte Bündnis Pro Köln auf seiner Website eine knallharte Repressionspolitik gegen Sozialhilfeempfänger, Obdachlose und Stricher, die konsequente Abschiebung von Ausländern sowie ein NEIN zu Multi-Kulti. Für das whk ist der abermalige Rechtstrend beim Kölner CSD Ausdruck von Verhältnissen innerhalb der Homoszene. Das Komitee kündigte an, aus politischem Anstand ... in diesem Jahr zum ersten Mal seit seinem Bestehen nicht mit einer Fußgruppe am Kölner CSD teilzunehmen.
Mit deutschem Gruß (2)
Für ein zweiseitiges Interview bat die Tageszeitung junge Welt (Wochenendbeilage vom 19./20. Juni) den Berliner whk-Aktivisten Ortwin Passon, Anpassung, rechte Tendenzen und den intellektuellen Notstand in der Lesben- und Schwulenszene zu beurteilen. Auf die Frage, warum das whk seit Jahren auf einen kontinuierlichen Rechtsruck in der bundesdeutschen Homo-Szene hinweise, zitierte ihn das Blatt: Die anhaltende Hetze aus der konservativen Homoszene heraus, die das Miteinander der Angehörigen verschiedener Randgruppen vergiftet, macht deren eigentliches Ziel immer augenscheinlicher: Die Protagonisten wollen eine Hierarchisierung unter Underdogs herbeischreiben, um so bei Bedarf die jeweiligen Teilgruppen besser gegeneinander ausspielen zu können. Nach möglichen Bündnispartnern auf Parteienebene befragt, lehnte Passon eine Kooperation mit der PDS unter Hinweis auf die von faschistoiden Formulierungen geprägte interne Diskussionen der parteieigenen AG Queer ab. Tatsächlich hatte der rheinländische whk-Sprecher Dirk Ruder das rechte Treiben in dem inzwischen wegen Parteischädlichkeit geschlossenen Internet-Diskussionsforum der PDS-Homos kurz zuvor in seiner monatlichen Kolumne in der Szenezeitschrift Box (Ausgabe Juli) öffentlich gemacht. Die Frage nach Kooperation mit den demokratischen Sozialisten stelle sich zudem seit der geschickten Entsorgung der parteilosen PDS-Bundestagsabgeordneten Christina Schenk ernsthaft nicht mehr, so Passon. Eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit staatstragenden Wahlvereinen würde unabhängige, dem sexualpolitischen Fortschritt verpflichtete Gruppen wie das whk kompromittieren und in der Fachwelt dauerhaft desavouieren. So etwas können wir weder den Ausgegrenzten in dieser Gesellschaft noch unseren wenigen Bündnispartnern oder auch nur unseren Mitgliedern zumuten.
Mit deutschem Gruß (3)
Einen aus gegebenem Anlaß offenen Brief sandte das whk Rheinland Ende Mai an die Bundesarbeitsgemeinschaft Queer der PDS. Hintergrund war eine öffentliche Äußerung des sächsischen AG-Mitgliedes Heinz-Jürgen Voß. In der kurz darauf geschlossenen offenen Mailingliste pds_ag_queer@yahoogroups.de hatte Voß im Zusammenhang mit der Debatte um das Thema Kindesmißbrauch geäußert, die Gigi und das whk hätten sich zu einer Verhökerplattform für Kinder und Jugendliche entwickelt. Auf die Frage, warum Voß whk und Gigi absichtsvoll in die Nähe krimineller Machenschaften rücke und ob die BAG Queer diese skandalöse Behauptung unterstütze, antwortete Voß privat und mit freundlichen Grüßen am 4. Juni: Durch das starke Propagieren von Pädophilie in den letzten Heften der Zeitschrift Gigi aus einer engen und einseitigen Perspektive empfinde ich den Schluß gerechtfertigt, daß die Zeitschrift Gigi als Medium des whk Machtverhältnisse gegenüber Kindern und Jugendlichen unterstützt. Ich bedauere diese Entwicklung und empfinde es als schade, daß das jetzige whk versucht, den Ruf, den sich das whk um die Jahrhundertwende erarbeitet hat, für eigene, egoistische und unemanzipatorische Zielsetzungen zu nutzen. Auch das jetzige whk veröffentlicht zum Teil herrschaftskritische und emanzipatorische Texte, nur leider nimmt diese Objektivität bei Texten, die sich direkt mit Personen auseinandersetzen und bei einigen Thematiken schnell ab und endet in einem schmierigen Stil, den ich sonst nur aus der Bildzeitung kenne. Objektivität ist leider auch nicht in Bezug auf Pädophilie gegeben. (...) Es ist unstreitig notwendig, gegen Polizei- und Staatsgewalt vorzugehen, auch betrachte ich ein Rechtswesen mit Gesetzen als unemanzipatorisch. Das einzig Gute, das unser Rechtssystem mit sich bringt, ist die Unschuldsvermutung und die Möglichkeit eines fairen Prozesses, die zumindest auf dem Papier stehen. Dennoch werde ich nicht anfangen, unser Rechtssystem gerade in der Frage von Pädophilie anzugreifen. Pädophilie wird derzeit zumeist von alternden Männern ... propagiert ... Der ältere Mensch kann, falls seine Erwartungen nicht erfüllt werden, finanzielle Zwänge, psychische und physische Gewalt nutzen, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Das Kind oder der Jugendliche hat nicht ausreichend Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Die BAG Queer hat auf den offenen Brief des whk bislang nicht geantwortet.
Mit deutschem Gruß (4)
Die umstrittene Nominierung des früheren baden-württembergischen CDU-Ministerpräsidenten und NS-Marinerichters Hans Filbinger zum Wahlmann in der Bundesversammlung veranlasste den Düsseldorfer whk-Aktivisten und PDS-Ratsherrn Frank Laubenburg wenige Tage vor der Bundespräsidentenwahl am 24. Mai zu einem Schreiben an die Düsseldorfer CDU-Bundestagsabgeordneten Beatrix Philipp und Hildegard Müller. Agenturmeldungen ist zu entnehmen, daß Ihr Parteifreund, der baden-württembergische CDU-Fraktionschef Jürgen Oettinger, erklärt habe, eine Abberufung Filbingers als Wahlmann wegen irgendwelcher Vorfälle aus dem Jahre 1945 lehne er ab. Filbinger sei ein untadeliger Wahlmann ... Hans Filbinger hat als Marinerichter und -staatsanwalt an mindestens drei Todesurteilen gegen Deserteure des Zweiten Weltkrieges mitgewirkt ... Vor diesem Hintergrund stellt die von CDU, SPD, Grüne und FDP im baden-württembergischen Landtag gemeinsam vorgenommene Wahl Filbingers eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus ... dar. Noch schlimmer aber ist es, daß ein führender CDU-Politiker Teile des nationalsozialistischen Terrors als irgendwelche Vorfälle bezeichnet und damit, Hohmann läßt grüßen, erneut aus der CDU heraus die Verharmlosung des Nationalsozialismus betrieben wird. Die Wahl des 90jährigen Juristen Filbinger erfolgte, nachdem die PDS Sachsen den aus Chemnitz stammenden Prof. Hans Lauter als Wahlmann nominiert hatte. Der 89jährige Hans Lauter war 1936 vom Volksgerichtshof wegen Widerstandes gegen das NS-Regime zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden.
Mit nur einer Stimme über der absoluten Mehrheit wurde Horst Köhler schließlich in Berlin zum Bundespräsidenten gewählt und zwar mit der Stimme jenes CDU-Mannes, den der Komiker Otto Waalkes schon in den siebziger Jahren öffentlich mit einem giftigen Heil Hitler, Herr Filbinger! grüßte.
Mit deutschen Gruß (5)
Den von den Massenmedien kaum beachteten Aufschwung für Neonazis sowohl bei den Europa- als auch bei Kommunalwahlen am 13. Juni in der Bundesrepublik kommentierte das Kölner whk-Mitglied Jörg Fischer in einer Mitte Juni veröffentlichten Analyse. Die offen neofaschistische NPD konnte ihr Ergebnis von 0,4 Prozent auf 0,9 Prozent mehr als verdoppeln und wird zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten wieder Wahlkampfkostenerstattung nach einer bundesweiten Wahl erhalten. Auch die absolute Zahl der Stimmen für die NPD hat sich von rund 100.000 auf über 200.000 gesteigert ... Insgesamt erreichten die rechtsextremen Parteien in Sachsen 8,1 Prozent ..., womit sie in die Nähe des SPD-Ergebnisses von 11,9 Prozent kommen ... Bei den Wahlen zum Stadtverband und zum Stadtrat Saarbrücken konnte die NPD jeweils 4,4 Prozent, bei der Wahl zum Stadtrat von Völklingen sogar knapp 9,6 Prozent (fünf Sitze) erreichen, in der Völklinger Innenstadt lag die NPD bei bis zu über 26 Prozent der Stimmen. In Dresden schaffte das von NPD-, DVU- und REP-Kadern gebildete Nationale Bündnis mit rund vier Prozent den Einzug in den Stadtrat mit drei Mandaten. Bei der Kreistagswahl in der Sächsischen Schweiz erhielt die NPD 13,4 Prozent (sechs Mandate), bei der Stadtratswahl Meißen 9,6 Prozent (zwei Mandate), in Annaberg neun (zwei Sitze), in Wurzen 11,8 (drei Sitze), in Riesa neun Prozent (zwei Sitze). Die höchsten NPD-Stimmenanteile gab es bei den Stadtratswahlen in Königstein (21,1 Prozent und drei Sitze) und bei der Gemeinderatswahl in Reinhardsdorf-Schöna (25,4 Prozent und zwei Sitze). In Sachsen-Anhalt gelang der NPD in Halle und Quedlinburg der Einzug in die Kommunalparlamente (1,8 Prozent bzw. 2,8 Prozent und jeweils ein Mandat); in Mecklenburg-Vorpommern zog die NPD unter anderem in den Stadtrat von Stralsund mit 4,1 Prozent (zwei Sitze) ein. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart zogen die REPs mit vier Prozent der Stimmen und zwei Mandaten in das Kommunalparlament ein, in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz kamen die REPs bei den Stadtratswahlen nach der letzten Hochrechnung sogar auf 7,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Ergebnisse zeigen, daß es keinen Grund zur Entwarnung gibt, nur weil neonazistische und rassistische Gewalttaten aus den Schlagzeilen der Massenmedien verschwunden sind ... Allen zunächst gegenteiligen Anzeichen zum Trotz ist die NPD offenkundig aus dem durch den Verfassungsschutz zum Scheitern gebrachten Verbotsverfahren zumindest mittelfristig gestärkt hervorgegangen.