Mitteilungen des whk Mai/Juni 2004
Nie wieder Krieg
Am 20. März 2003 überfielen die USA und Großbritannien den Irak. Weltweite Friedensaktionen zum ersten Jahrestag des Krieges unterstützte auch das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk). So unterzeichneten die whk-Gruppen Ruhr und Rheinland einen Demo-Aufruf linker Organisationen aus dem Ruhrgebiet. In dem Aufruf zur der in Duisburg abgehaltenen Manifestation heißt es: Mit dem Beginn des Krieges hatte sich die US-Regierung über die Köpfe der Mehrheit der Weltbevölkerung hinweggesetzt Die Menschen im Irak wollen den Abzug der ihr Land besetzenden Soldaten nicht morgen, sondern heute ... In diesem Sinne rufen wir dazu auf, gegen eine mögliche Beteiligung an der Besatzung durch die Bundeswehr zu demonstrieren Denn wie der Rat Arabischer Amerikaner im Aufruf der amerikanischen Friedensbewegung formuliert, würde die Internationalisierung der Besatzung dem Kolonialismus einen propagandistischen Deckmantel verleihen. Insofern müssen wir nicht nur verhindern, daß das Völkerrecht zerstört wird, sondern auch, daß mittels der UNO eine Besatzung gerechtfertigt werden kann, welche die wirtschaftlichen Interessen westlicher Staaten (u.a. auch der BRD) bedienen soll. Ferner wird darauf verwiesen, daß die Bundesregierung den Transport über und das Starten von Bombern von deutschem Territorium aus zugelassen habe und so trotz aller Friedensbeteuerungen sich bewußt an einem völkerrechtswidrigen Krieg beteiligt und gegen Art. 26 des Grundgesetzes verstoßen, wie sie es schon 1999 mit aktiver Teilnahme in der Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien getan hat. Die US-Invasion und Besetzung sei Teil einer globalen Strategie von USA, NATO und EU zur Kontrolle wichtiger geostrategischer Regionen und Rohstoffe. Auf scharfe Kritik stieß eine Rundmail der Antifaschistischen Aktion Dortmund (AADO) an die ErstunterzeichnerInnen. Die Gruppierung aus dem in der Linken kaum noch glaubwürdig agierenden antideutschen Spektrum störte sich vermutlich vorrangig an einer Passage, in der sich die Verfasser auch für ein Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes aussprachen, denunzierte den Antikriegs-Aufruf als Naziflugblatt und legte den UnterzeichnerInnen nahe, ihre Unterstützung für die Duisburger Friedensdemo zurückzunehmen. Das whk Ruhr bezeichnete dies als absolut schamlos.
Nie wieder Köln
Zum 16. LSVD-Bundesverbandstag am 20./ 21. März in Köln übermittelte die AG Schwulenpolitik des whk wieder ein Grußwort an die homosexuelle Bürgerrechtsvereinigung und wünschte eine spannende Debatte über homopolitische Fragen sowie die Zukunft Eures Verbandes. Der Tagungsort sei in diesem Jahr besonders gut gewählt; Köln verfüge über eine lange Tradition des demokratischen Aufbruchs. Sich in diese Tradition zu stellen, ist zugleich Ehre und Verpflichtung für Euren noch in der DDR gegründeten Bürgerrechtsverband. Das vergangene Jahr, so hieß es, sei ein weniger erfolgreiches für den LSVD gewesen: Presseberichten der letzten Monate ist zu entnehmen, daß Eure wichtigsten politischen Projekte bis auf weiteres auf Eis liegen. So läßt Euch die Bundesregierung nicht nur bei Eurem Eintreten für eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung zur Kollektivierung individueller Entschädigungsansprüche der Rosa-Winkel-Häftlinge zugunsten nachgeborener Nicht-Verfolgter im Regen stehen. Auch bei Antidiskriminierungsgesetz und Eingetragener Partnerschaft sei der Bundesregierung kein sonderliches Engagement nachzusagen, und dies nachdem sie Euren Verband zunächst als maßgeblichen Verhandlungspartner bei dem wichtigen Gesetzesvorhaben mißbraucht hatte, so das whk. Spät und deswegen um so schmerzlicher habt Ihr lernen müssen, daß die Eingetragene Lebenspartnerschaft dem Staat vor allem dazu dient, seine Verantwortung gegenüber dem einzelnen Bürger finanziell auf die Lebenspartner abzuwälzen. Daß der Staat, Gleichstellung heuchelnd, in Eure Taschen greift, solltet Ihr ebenso wenig hinnehmen wie das Aufzwingen von Anhängigkeitsverhältnissen nach Art der Hausfrauen-Ehe. Uneingeschränktes Lob fand eine Strafanzeige des LSVD gegen den Kölner Kardinal Meisner wegen dessen volksverhetzender Forderung, Europa müsse die Homosexualität ausschwitzen. Das whk versicherte dem LSVD, daß Ihr im whk stets einen Verbündeten haben werdet, wenn es darum geht, jene von der Kanzel zu holen, die verbal schon wieder Holz für ihre Scheiterhaufen sammeln. Innenpoltisch forderte das whk den Homosexuellenverband auf, aus dem Wissen um den rot-grünen Sozialabbau in Zukunft praktische Konsequenzen für die politische Arbeit zu ziehen. Schließlich wisse der LSVD, daß die von Rot-Grün als Agenda 2010 durchgesetzte Demolierung des Sozialsystems weite Teile der Bevölkerung treffe. Zudem stürze die sogenannte Gesundheitsreform nicht nur Eure aidskranken und HIV-infizierten Freunde ins Elend, die vielfach schon jetzt Medikamente und Praxisgebühren nicht mehr bezahlen können. Zu guter Letzt ging das whk in der Grußbotschaft auf die Ankündigung konservativer LSVD-Mitglieder ein, Schatzmeister Jacques Teyssier stürzen zu wollen (vgl. Mitteilungen des whk, Gigi Nr. 30, Seite 38). Das whk teile die Besorgnis, die Berichte über finanzielle Unregelmäßigkeiten beim LSVD immer wieder in der Szene auslösen, gehe jedoch davon aus, daß man in Köln aus den keineswegs eingestellten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen drei Eurer Vorstandsmitglieder wegen Subventionsbetrugs Konsequenzen und im Sinne weiterer Demokratisierung und Transparenz einen Schlußstrich unter die jahrelange Finanzkungelei zögen. Die Traute zu einer Aktion Finanzamt hatte der Verbandstag allerdings nicht. Teyssier wurde prompt im Amt bestätigt (vgl. Ladykracher in Gigi Nr. 31, Seite 10). Zu den Ergebnissen des Verbandstages bat allein das neu in Köln erscheinende Homomagazin City, Gay, News (C.G.N.) das whk Rheinland im April um eine Stellungnahme. Unterdessen fand das von der AG Schwulenpolitik des whk erneut gestiftete exklusive LSVD-Abo der Gigi abermals reges Interesse. (vgl. Mitteilungen des whk, Gigi Nr. 30, Seite 38)
Nie wieder Dortmund
Da sich der Vorwurf nicht eindeutig belegen ließ, er habe auf einer Schill-Wahlkampfveranstaltung einen Polizisten angerempelt und damit Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet, stellte das Landegericht Dortmund am 11. Februar ein Verfahren gegen den whk-Aktivisten Markus Bernhardt ein (vgl. Mitteilungen des whk, Gigi Nr. 30, Seite 38). Weil man eine solche Verfahrenseinstellung im Falle eines linken Politaktivisten nicht unkommentiert im Raum stehen lassen kann, legte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) nochmal nach. Mit der Schlagzeile Linker tritt bei Polizei wie Graf Koks auf umgab das auflagenstärkste Blatt im Ruhrgebiet die von Sozialhilfe lebende whk-Freundin Bernhardt aber nicht nur mit der Aura eines rotzfrechen Drogendealers: Ob Demo gegen Schill oder Nazis Ein 26-Jähriger landet immer wieder vor Gericht. Daß der Berufsprotestler gegen einen fragwürdigen Strafbefehl und eine Zahlungsaufforderung von 300 Euro erfolgreich! Berufung einlegte, sei nicht zur Nachahmung empfohlen. Denn sein demokratisch verbrieftes Recht auf freie Meinungsäußerung kann nur ordentlich wahrnehmen, wer über das entsprechende Kleingeld zum Demonstrieren verfügt. Der Angeklagte war inzwischen vom Amtsgericht Bochum, wieder wegen rechtswidrigen Verhaltens während einer Demo, zu 750 Euro Geldstrafe verurteilt worden In Anbetracht der teuren Nachspiele, riet ihm die Zeitung fürsorglich, sein Geld sinnvoller auszugeben. Wenigstens nicht für ein Abo der WAZ.
Nie wieder Auschwitz
Gegen die Streichung von nordrhein-westfälischen Landesmitteln für Gedenkstättenfahrten protestierte der Düsseldorfer PDS-Ratsherr und whk-Aktivist Frank Laubenburg. Wie erst jetzt bekannt wurde, hat der NRW-Landtagsausschuß für Jugend bereits im Januar sämtliche Mittel für Gedenkstättenfahrten aus dem Landesjugendplan ab sofort gestrichen, schreibt Laubenburg in einer kurz nach Redaktionsschluß der letzten Gigi verbreiteten Presseerklärung vom 18. Februar. Die Streichung der bislang unter anderem für Fahrten zur KZ-Gedenkstätte Auschwitz bereitgestellten Mittel durch die rot-grüne Landtagsmehrheit sei ein Skandal, so Laubenburg. Er forderte den Düsseldorfer SPD-Landtagsabgeordneten Bernd Flessenkemper auf, seinen Einfluß als Vorsitzender des Landtagsauschusses für Jugend dahingehend zu nutzen, damit die Mittel für diese Fahrten sofort wieder in den Landesjugendplan aufgenommen werden. Die Folgen solcher Beschlüsse könne Flessenkemper in seinem Wahlkreis im Stadtteil Eller beobachten, wo sich seit Jahren die rechtsextremistische Szene immer offener zeigt, wo überregional bekannte Nazi-Bands proben und sich organisieren. Nicht nur dort sei stärkeres antifaschistisches Engagement geboten. Deshalb sei es unerträglich, daß sich ausgerechnet Flessenkemper für die Streichung der Mittel eingesetzt hat und nun gegenüber Medien eine Stellungnahme ablehnt, beklagt Laubenburg. Die rot-grüne Landtagsmehrheit spiele mit dem Beschluß all jenen in die Hände, die einen Schlußstrich unter die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus ziehen wollten.
Immer wieder sonntags (1)
Wegen der Beschwerde über einen tendenziösen und schwulenfeindlichen Artikel in der Welt am Sonntag (WamS) erhielt das whk am 22. März Post vom Deutschen Presserat. In dem Schreiben teilte der Presserat dem Komitee mit, die whk-Beschwerde sei begründet im Sinne der Beschwerdeordnung. Deswegen habe der Presserat nach Ziffer 13 des Pressekodex gegenüber der WamS eine Mißbilligung wegen Verstoßes gegen das Vorverurteilungsverbot ausgesprochen. Den Vorgang kommentierte das whk in der Pressemitteilung Rote Karte für WamS vom 2. April: In einem Artikel gleich zwei Mal massiv gegen den Pressekodex zu verstoßen, das schafft nach wie vor niemand besser als ein Blatt aus dem Hause Springer. Der Presserat habe die unsaubere und reißerische Berichterstattung über den des Handels mit Kinderpornographie verdächtigten schwulen Bremer SPD-Politiker Michael Engelmann in der WamS vom 19. Oktober 2003 als schwerwiegenden Verstoß gegen den Pressekodex gewertet, zitierte das whk aus dem Presserats-Schreiben. Nach Überzeugung des Presserats verstoße schon die Dachzeile des Artikels Ex-Chef der Schwusos hinterließ bei Handel mit Kinderpornographie Spuren gegen das im Pressekodex definierte Vorverurteilungsverbot. Die in dem Artikel getroffene Aussage impliziere, Engelmann habe tatsächlich mit Kinderpornographie gehandelt. Er war jedoch zum Zeitpunkt der Berichterstattung (so wie heute) weder angeklagt, noch der Vorwurf gerichtlich festgestellt. Deshalb sei die Darstellung vorverurteilend. Verstärkt werde die Vorverurteilung noch durch die auf einen anonymen Kenner gestützte Vermutung, mit einer Internetsuche nach Männern zwischen 16 und 30 Jahren habe Engelmann (strafwürdigen) Kontakt zu unter 16-Jährigen gesucht. Durch diese Passage wird Engelmann quasi unterstellt, er suche sexuelle Beziehungen zu Minderjährigen. Auch dies ist jedoch nicht bewiesen, stellte der Presserat klar. Das whk forderte die WamS angesichts dessen auf, die gegen sie ausgesprochene Mißbilligung, wie vom Presserat empfohlen, umgehend als Ausdruck fairer Berichterstattung abzudrucken und sich bei der Berichterstattung zukünftig an journalistische Standards zu halten. Als blamabel und beschämend wertete das whk unterdessen das Agieren der Lesben und Schwulen in der SPD (Schwusos). Anders als das whk hätten die Schwusos ihrem angesichts der unbewiesenen Vorwürfe zurückgetretenen Bundesvorsitzenden jegliches Zeichen öffentlicher Solidarität verweigert. Die Schwusos opferten die eigenen Leute offenbar lieber einem homophobem Mainstream, als von ihrem devoten Kurs des Stillhaltens und der Anpassung abzuweichen, so das whk. (vgl. Mitteilungen des whk, Gigi Nr. 29, Seite 36). Das schwule Monatmagazin Du & Ich bat das whk um ein Interview fürs Mai-Heft, das Portal queer.de brachte eine Meldung, aus der jedoch nicht hervorging, daß die Mißbilligung auf eine whk-Beschwerde zurückging.
Immer wieder sonntags (2)
Auf ihrer 539. Sitzung am 4. März entschied die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Bonn, von einer Indizierung des Gigi-Hefts 27 vom September/Oktober 2003 abzusehen. Das Indizierungsverfahren angeregt hatte die emsig Kinderpornographie sammelnde katholische Pfarrgemeinde St. Laurentius im münsterländischen Senden, die glaubte, in dem von Gigi im Kontext eines Strafverfahrens dokumentierten Stefan-Text jugendgefährdende Inhalte entdeckt zu haben. Zum Scheitern des Antrags bei der im Bundesfamilienministerium angesiedelten Prüfstelle erläutert die Pressemitteilung des whk vom 3. April 2004: In der heute beim whk eingegangenen schriftlichen Begründung bewertet die Bundesprüfstelle Dokumentation des Textes in jugendschutzrechtlicher Hinsicht als einen Fall von geringer Bedeutung ... Als Grund nennt die Bundesprüfstelle die vergleichsweise geringe Auflage sowie die Tatsache, daß das betreffende Heft zum Zeitpunkt der Antragstellung durch die Sendener Pfarrgemeinde nicht mehr auf dem Markt erhältlich gewesen sei. Laut whk habe die Bundesprüfstelle mit ihrer Entscheidung katholischen Kinderschützern einen deutlichen Dämpfer verpaßt. Mit Genugtuung nahm das whk zur Kenntnis daß die Behörde de facto der Staatsanwaltschaft Berlin folgte, die den anonym verfaßten Text bereits im Oktober 2003 als nichtmal pornographisch eingestuft und das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt hatte (vgl. Mitteilungen des whk, Gigi Nr. 29, Seite 37). Als besorgniserregend wertet das whk unterdessen die ungenierte Zusammenarbeit katholischer und rechter Gruppierungen bei der Anregung von Indizierungsverfahren. So habe die Pfarrgemeinde St. Laurentius bei ihrem Indizierungsantrag in Sachen Gigi eng mit der dubiosen Kinderschützer-Sekte C@rechild e.V. aus Münster kooperiert, die das betreffende Gigi-Heft eigens in Berlins schwulem Buchladen Prinz Eisenherz als Beweisstück erworben hatte. Nach dem Vorbild rechter Gruppierungen veröffentlicht der sogar als gemeinnützig anerkannte C@rechild e.V. auf seiner Internetseite schwarze Listen. Darauf finden sich außer Namen von Bundestagsabgeordneten u.a. auch die von verdächtigen Mitarbeitern und Abonnenten der Gigi, die der Verein offenbar einem Milieu potentieller Kindermörder zurechnet. Für das whk stehe außer Frage, daß es diesen Gruppierungen wie schon in den 60er Jahren nicht um Jugendschutz, sondern vor allem um Störmanöver gegen die sexuelle Emanzipation geht. Zu den vier Indizierungsschwerpunkten der Bundesprüfstelle gehören übrigens Gewalt, Verherrlichung der NS-Ideologie, Rassenhaß und sexualethisch desorientierende Medien. Unklar bleibt nach der Nicht-Indizierung vom 4. März, ob Gigi sich künftig dennoch mit dem Qualitätssiegel sexualethisch desorientierend schmücken dürfe, so das whk.