Mitteilungen des whk Januar/Februar 2004
Kenner der Szene
Ohne Resonanz blieb bislang eine am 21. Oktober beim Deutschen Presserat eingereichte Beschwerde des whk. Grund: In einem zwei Tage zuvor erschienenen Artikel hatte die Welt am Sonntag behauptet, der des Handels mit Kinderpornographie verdächtigte Bremer SPD-Politiker Michael Engelmann habe im Internet auch strafbare Kontakte zu Jungen unter 16 Jahren gesucht. Als Beweis präsentierte die konservative Sonntagszeitung einen anonymen Kenner der Homoszene und titelte: Verdacht gegen Engelmann erdrückend. Das whk sah in der unbewiesenen Behauptung gegen den im Zuge der Affäre zurückgetretenen Bundesvorsitzenden der Lesben und Schwulen in der SPD (SCHWUSOS) einen eindeutigen Verstoß gegen Ziffer 13 des Pressekodex (Vorverurteilung). Der seit November kommissarisch amtierende SCHWUSOS-Bundesvorsitzende Tom Becker begrüßte den Vorstoß des whk als gute Idee.
Vollbild AIDS
In Deutschland leben derzeit rund 45.000 HIV-Infizierte. Als einem von ihnen und Vorkämpfer in Sachen Safer Sex baten das ZDF und die Tageszeitung junge Welt den hessischen whk-Sprecher Herbert Rusche zum Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember um Stellungnahmen. Im Bericht des heute journals, der auch die AIDS-Hilfe Frankfurt vorstellte, berichtete Rusche über sein Leben mit Vollbild AIDS. Rusche auf die Frage von junge Welt, ob mit Medikamenten das von der Pharmaindustrie versprochene beschwerdefreie Leben mit HIV möglich sei: Unter einem beschwerdefreien Leben stelle ich mir etwas anderes vor. Täglich ein Dutzend Tabletten und zwei Spritzen kurzfristige sowie langfristige Nebenwirkungen wie Fettabbau und Fettverschiebung und Herzrhythmusstörungen ... Außerdem gibt es HIV-Medikamente, die bei manchen Patienten zu Depressionen führen und eine psychische Veränderung verursachen. Angesichts radikaler Kürzungen bei den AIDS-Hilfen ging das Vorstandsmitglied des Schwulen Landesverbands Hessen hart mit den politischen Ex-Bündnispartnern von PDS und Grünen ins Gericht, die beim Thema AIDS die Fronten gewechselt hätten. Mit einem bürgerlichen, verehelichten und braven Homophilen sei halt mehr Staat zu machen als mit einer armen schwulen Sau, die AIDS hat und von Sozialhilfe leben muß, so das inzwischen ausgetretene Gründungs- und ehemalige Bundestagsmitglied der grünen Partei.
Vollbild Rassismus
Nie zuvor fanden öffentliche Äußerungen des whk so lebhafte Resonanz und Zustimmung , wie die beiden Pressemitteilungen vom 3. und 5. November betreffend das umstrittene Titelbild des Berliner Homomagazins Siegessäule. In zeitlicher Nähe zum Gedenktag der Reichspogromnacht am 9. November hatte die Siegessäule in November Türken raus! getitelt und wollte dies provokant verstanden wissen. Hintergrund: Um angesichts knapper Kassen die Weiterfinanzierung des Berliner LSVD-Migrantenprojekts Miles und des Schwulen Überfalltelefons Maneo zu unterstützen, hatte das Monatsblatt in eine seit Wochen von LSVD und konservativer Presse geschürte Stimmungsmache gegen homophobe MigrantInnen eingestimmt, an der sich auch der schwule Rechtsaußen Jan Feddersen in der taz beteiligte. Spontane Entsorgungsaktionen in der Szene ließen nicht lange auf sich warten: Hefte eingesammelt meldete der sogar hinnerk (12/03) im fernen Hamburg. In Berlin warfen Kneipenwirte die Siegessäule in den Müll, ebenso die Berliner Lesbenberatung. Das Autonome Schwulenreferat der Freien Universität verweigerte die Annahme des kompletten Heftkontingents und erklärte bis zu einer ausführlichen Entschuldigung einen unfristeten Boykott des Magazins. Das kommerzielle Internetportal queer.de verlieh dem Blatt sogar die Homogurke und kommentierte: Dieser Titel mit dem Nazi-Spruch ist kein Ausrutscher, die gesamte Redaktion wird darüber diskutiert und sich letztendlich für ihn entscheiden haben. Die Wochenzeitung Unsere Zeit reagierte am 21. November mit der Glosse Wenn ich Neonazi wäre, und die Kölner Homogazette Box bat das whk um einen längeren Kommentar. Unterdessen schoß sich die Siegessäule aufs whk ein, das einer weiteren Diskussion leider nicht würdig sei. Der freche Stil des Magazins übersteige offensichtlich den ideologisch verengten Horizont des schwul-lesbischen Splittergrüppchens whk mit seiner dogmatischen Propaganda im stalinistischen Stil.
Den zahlreichen linken homosexuellen Kritikern am Siegessäule-Cover warf die sich als links delirierende antideutsche Gruppe Queer for Israel eine unbewußte autoritäre Sehnsucht und absurder gehts immer traditionelle Schwulenfeindlichkeit vor und stimmte in den rechten Chor der Homobürgerrechtler ein: Wenn in Deutschland und anderswo Islamisten aufmarschieren , dann ist das Ausdruck einer tödlichen Bedrohung nicht nur für alle Juden, sondern auch für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle. Es sei keineswegs rassistisch, auf den Zusammenhang von Islam und Homophobie aufmerksam zu machen. Rassistisch ist vielmehr jener Antirassismus, der das widerwärtige und absurde Konstrukt von in sich homogenen Kulturen stillschweigend als seine eigene Voraussetzung akzeptiert, um sich dann eifrig mit diesen abstrakten Einheiten zu solidarisieren. Die freche Behauptung linker Homos, es gebe in der Linken eine Tradition der Solidarität mit Homosexuellen, sei eine infame Lüge.
Mit dem Zweiten sieht man nix
Energisch und schnell kommentierte die AG Schwulenpolitik des whk am 4. November einen am gleichen Tag in der ZDF-Reihe 37 Grad ausgestrahlten Beitrag über pädophile Männer. Mit dem Zweiten sieht man besser: Berliner Polizei organisiert schwule Kindersexparty im ZDF, titelte die AG über den Beitrag Am helllichten Tag des Stern-Reporters Manfred Karremann. Ohne konkrete Belege hatte dieser darin den Mißbrauch minderjähriger Jungen durch pädophile Männer aus der homosexuellen Szene suggeriert (vgl. Editorial und Schwerpunkt dieses Heftes). Insbesondere wies das whk den im ZDF gesendeten bebilderten Steckbrief des gewöhnlichen Kinderschänders zurück, nach dem ein Kinderschänder offen schwul sei, es beim Kinderficken mit seiner HIV-Infektion nicht so genau nehme, auf dem Berliner CSD für die gute Sache demonstriere und gern Knabenchöre höre. Die üble Propaganda gegen Pädo- und Homosexuelle beantwortete für das whk zudem die Frage, warum Staatsanwaltschaft und Polizei in Berlin bis heute eine Presseanfrage der Gigi-Redaktion zu einer im ZDF-Beitrag ebenfalls gezeigten Razzia verweigerten. Das whk schloß daraus, der Einsatz von SEK-Beamten am 6. Juni 2003 in Berlin-Mitte sei Teil einer großangelegten Propagandaoffensive gewesen, deren Erfolg sich die Behörden offenbar nicht durch peinliche Nachfragen nach Schwerverletzten verderben lassen wollten. Demnach habe nicht der Journalist selbst, sondern das Berliner LKA bei diesem TV-Beitrag Regie geführt. Das whk forderte die Berliner Behörden nachdrücklich auf, sich endlich an das Berliner Pressegesetz zu halten und die detaillierte Anfrage der Gigi vom 9. Juni 2003 ordnungsgemäß zu beantworten (vgl. Editorial in Gigi Nr. 27).
Das pure Weiterschwuchteln (1)
Als hervorragendem und verläßlichem Partner in Sachen Sexualpolitik gratulierte das whk Rheinland dem Schwulen-, Bisexuellen- und Lesbenreferat (SchwuBiLe) der Uni Duisburg zum 20-jährigen Bestehen. Das SchwuBiLe gehörte zu den ersten Einrichtungen der Szene, die die Debatte mit dem noch jungen whk suchten. Dies trug nicht zuletzt dazu bei, den Konsens bürgerlicher Homogruppen und ihrer Medien zu durchbrechen, der linksalternative Gruppen totschweigen und deren politische Angebote etwa gegen die unsägliche Homo-Ehe als lächerlich und utopisch diffamieren sollte, schrieb whk-Sprecher Dirk Ruder anläßlich der Feierlichkeiten am 20. November an das Referat. Die Teilnahme an der Oberhausener CSD-Alternative Freak Week, die Antiklerikale Woche 1999 und andere gemeinsame Aktionen belegten die Freundschaft zwischen SchwuBiLe und whk, heißt es in der in einer aufwendigen Jubiläumsbroschüre dokumentierten Grußbotschaft. Für jüngere Studenten sei heute kaum noch zu ermessen, welchen demokratischen Fortschritt die Konstituierung der Lesben- und Schwulenreferate an bundesdeutschen Universitäten bedeutete. Damit den Saubermännern von heute, seien es nun RSDS oder SPD-Hochschulgruppe, die Arbeit auch in Zukunft ein bißchen weniger Spaß macht, möge das SchwuBiLe noch lange fröhlich weiterschwuchteln!, wünschte das whk. Die Schwulen- und Lesbengruppe an der Duisburger Universität war bereits am 8. Juni 1983 gegründet worden, die Hochschulleitung hatte die offizielle Zulassung jedoch monatelang mit dem Hinweis verweigert, daß dann auch andere Interessengruppen, z.B. Briefmarkensammler, anerkannt werden müßten.
Das pure Weiterschwuchteln (2)
Ziemlich genau fünf Jahre nach der Neugründung des whk 1998 lud die Berliner Regionalgruppe am 25. Oktober zum jährlichen Bundestreffen in die Kapitale dieses wunderbaren Landes. Die im traditionsreichen Haus der Demokratie und Menschenrechte (HDM) abgehaltene Versammlung debattierte politische Strategien und Herausforderungen des whk in den kommenden Monaten. Im Mittelpunkt standen die jüngste Verschärfung des Sexualstrafrechts und der damit verbundene Demokratieabbau, die Auswirkungen des Sozialkahlschlags auf chronisch Kranke und Menschen mit HIV sowie Chancen und Möglichkeiten eines stärkeren Engagements in der Lesben- und Schwulenszene. Angesichts der erfreulichen Abo-Entwicklung und zunehmenden Bedeutung von Gigi als sexualpolitisches Forum beschloß das herausgebende whk, die Erweiterung der Redaktion von drei auf fünf Mitglieder. Mit den langjährigen Autoren Ortwin Passon und Lizzie Pricken zeichnet damit zukünftig auch eine Frau für die Zeitschrift verantwortlich. Zum fünfjährigen Bestehen hatte das Komitee unter anderem ein Grußwort der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend erreicht. Als linke Jugendorganisation verfolge die SDAJ seit geraumer Zeit gespannt Eure Arbeit im Bereich der (sexuellen) Emanzipationspolitik ... Mit Euch wollen wir uns für eine wirkliche Gleichstellung aller Lebensweisen einsetzen und den gesellschaftlichen Rechtsruck sowohl in der Homoszene als auch im Allgemeinen bekämpfen, schrieb die SDAJ-Bundesvorsitzende Tina Sanders.
Zeitlich versetzt trat am selben Tag auch der Förderverein des whk e.V. (u.a. Verleger der Gigi) zur ordentlichen Mitgliederversammlung zusammen.
Genug ist genug!
Nicht weniger als den Sturz der rot-grünen Regierung forderte das whk in seinem Aufruf zur Berliner Großdemonstration gegen den Sozialkahlschlag am 1. November: Das whk ruft dazu auf, die Parteien des Bundestags endlich als das wahrzunehmen, was sie sind: als Hehler der Konzerne. Sie haben Lohnabhängigen wie Arbeitslosen, vor allem aber den sozial Schwachen und ihren Interessenvertretungen offen den Kampf angesagt. Sie stehen auf der anderen Seite. Tunten, Transen und Ledermänner haben genug Kampferfahrung, um zu wissen: Wer einen Honecker aus dem ZK herausdemonstrieren kann, wird erst recht einen Schröder aus dem Kanzleramt herausdemonstrieren können.