Mitteilungen des whk Mai/Juni 2000
Da werd' ick janz sentimental
Die 3. Bundesversammlung des whk tagte in Freiburg. Ein Bericht von Claas Sudbrake
Ein bunter Haufen kam da zusammen: Studis, Lehrer, Soziologen, Ingenieurinnen, Germanisten, Musiker, Journalisten, selbständige Unternehmer; Schwule, Lesben, Transsexuelle; Kommis, Anarchas und -os und Sozrevs: Von der kompletten Regionalgruppe bis zur lokalen Ansprechpartnerin des wissenschaftlich-humanitären komitees (whk) hatten sich alte Hasen und junge Hüpfer am 29. April zur bis zum 1. Mai dauernden 3. Bundesversammlung in den Schwarzwald aufgemacht.
Ein glückliches Händchen bei der Koordination bewiesen die Veranstalterinnen des Treffens, der whk-Ansprechpartner für Baden-Württemberg Uli Geusen, Urs&Uschi Birgin von der Transen-Ini sowie die Redaktion der Schwulen Welle im Radio Dreyeckland als whk-Unterstützerin. Denn kaum ein anderer Versammlungsort hätte sich besser geeignet als die neue KTS in der Basler Straße, die unter einem Dach sowohl Tagungsräume, Pennplätze und eine Kneipe zu bieten hatte. So eine freundliche und lockere Atmosphäre (Zitat eines Teilnehmers: "Det sieht so aus wie damals im Jugendzentrum, da werd' ick janz sentimental.") regte natürlich die Diskussion an.
Strategie, Taktik, Bündnisse
Die drehte sich z.B. um aktuelle Bündnispolitik, etwa mit der parteilosen Bundestagsabgeordneten Christina Schenk in puncto "Wahlverwandtschaften" als Alternative zur "Homo-Ehe" und in Form einer Anfrage an die Bundesregierung zur assistierten Reproduktion, mit den bundesweit operierenden Gruppen "Schlampagne" und dem Lesbenring in der Lebensformenpolitik sowie auf lokaler Ebene in Form themenbezogener gemeinsamer Veranstaltungen und Aktionen mit antifaschistischen, antirassistischen und antiklerikalen Gruppen. So nahe dem whk Christina Schenks Lebensformenansatz steht als derzeit unmöglich erwies sich eine Übereinstimmung mit ihrer Militärpolitik: Sie steht für die "Gleichberechtigung" von Frauen und Schwulen bei der Bundeswehr, das whk ist pazifistisch und lehnt jede Legitimation militärischer Strukturen ab, erst recht durchs feministische Hintertürchen.
Ebenfalls auf der Agenda stand das Thema "Schule und Aufklärung". Bedienen schwul-lesbische Schulprojekte eine konformistische Identitätspolitik? Welche Bilder von Schwulen und Lesben werden vermittelt - und was ist mit Transen? Inwieweit werden dort emanzipatorische, identitätsübergreifende Ansätze entwickelt und verfolgt? Diesen Fragen soll sich in naher Zukunft eine interne AG widmen. Heiß diskutiert wurde auch ausgehend von ihrer Benutzung zu sexuellen Denunziation politischer Gegner Pädophilie: Soll und kann eine sachliche, nicht-emotionalisierte Diskussion darüber überhaupt (noch) stattfinden angesichts einer fortschreitenden Tabuisierung? Als Organisation mit sexualemanzipatorischem Anspruch könne sich das whk diesem Thema selbstverständlich nicht grundsätzlich verschließen, darauf konnte man sich einigen. Es kann und will aber zum jetzigen Zeitpunkt keine einheitliche Position einnehmen. Konsens war, daß vor dem nächsten Bundestreffen Fachartikel zusammengestellt werden sollen, um sich einen Überblick über den Stand der Debatte zu verschaffen. Das vorläufige Programm ist sowieso in Überarbeitung befindlich und wird wohl, um nicht auf die identitätspolitische Schiene zu geraten, ohnehin nicht mehr den Reigen zu emanzipierender Sexualitäten auflisten.
Der politische Gegner
Aber nicht nur hinter geschlossen Türen wurde getagt, sondern auch ganz bewußt der Schritt in die Öffentlichkeit getan: Auf der Tagesordnung stand, gewissermaßen als warm-up, ein Besuch des Infotreffs des baden-württembergischen Landesverbandes des konservativen LSVD, der sich als Veranstaltungsort ausgerechnet (oder bezeichnenderweise) ein Lokal mit dem Namen "Deutscher Kaiser" ausgesucht hatte. Unter den Augen des Kriegsverbrechers Wilhelm II. wollten die LSVD-LandessprecherInnen Uli Gass (Stuttgart) und Wencke Hosbach (Freiburg) über die Aktivitäten ihres Vereins berichten. Allerdings: Der Saal war nur zu einem Bruchteil gefüllt, elf der 15 Anwesenden gehörten zum whk oder seinem Sympathisantenkreis. Die weiteren Besucher waren nicht da, um sich zu informieren, sondern um den zu erwartenden Schlagabtausch zwischen links und bürgerrechts zu verfolgen. Der auch prompt kam und für drei äußerst kurzweilige Stunden sorgte. Denn nicht der LSVD informierte über sich: Diese Aufgabe übernahmen die whk-Assoziierten. Die stellenweise recht heftige Diskussion drehte sich um unterschiedliche Positionen im Staatsverständnis, um die Rolle führender, in der Region politisch sozialisierter LSVD-Köpfe wie Volker Beck, Manfred Bruns und Günter Dworek, um die Bundeswehr, die Homo-Ehe, den latenten Rassismus schwul-lesbischer Identitätspolitik sowie um die undemokratische Verbandsstruktur des LSVD. Immerhin: Sogar LSVDLandessprecherin Wencke Hosbach mußte am Ende zugeben, viele Dinge über ihren eigenen Verband gelernt zu haben, von denen sie bislang keine Ahnung hatte. "Lehrreich und informativ", so Hosbach, sei für sie die Veranstaltung gewesen, die damit letztlich doch ihren Zweck erfüllt hat.Das interessierte Volk
Sehr viel mehr Interessierte, und nicht nur Homos, fanden sich einen Tag später zum "Offenen Abend mit dem whk" in der KTS-Kneipe ein. Kennenlernen und Diskutieren, Spaß haben und Kickern stand im Vordergrund des feucht-fröhlichen Abends. Mit der für politische Veranstaltungen relativ hohen Besucherzahl und der überwiegend positiven Resonanz auf ihre Positionen hatten weder die Veranstalterinnen noch die zugereisten whk-Aktivistinnen gerechnet, scheuten doch auch viele der eher als "unpolitisch" oder konservativ geltenden Gäste aus Freiburg und Umgebung weder Weg noch Ort, um sich über das Programm des whk in Form von persönlichen Gesprächen in Klein- und Kleinstgruppen zu informieren. Auch wenn einige "gewohnt schnell ihre Schubladen aufhatten, um das whk mitsamt seinen Inhalten darin abzulegen" (ein Besucher), laßt der sehr gute Zuspruch doch hoffen, daß die in letzter Zeit eher abgeflaute politische Diskussion auf diese Weise wiederbelebt werden kann. Der Bedarf nach und das Interesse an alternativen und emanzipatorischen Ideen und Konzepten scheint jedenfalls nach Jahren der Dürre wieder zugenommen zu haben.
Ein Anfang wurde jedenfalls gemacht, gerade auch in Freiburg: Die Gespräche und Auseinandersetzungen während und nach der whk-Bundesversammlung wurden von den Veranstalterinnen so produktiv und konstruktiv erlebt, daß sie sich entschlossen, am 21. Mai die whk-Regionalgruppe Südbaden zu bilden nach Rheinland, Ruhr und Berlin die vierte des whk.
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Stiftungsgelder
Positiven Bescheid erhielt Anfang Mai der Förderverein des whk e.V. von der Hannchen-Mehrzweck-Stiftung/Homosexuelle Selbsthilfe e.V. hinsichtlich seines Antrages auf finanzielle Unterstützung. Das whk hatte im Sinne der informationstechnischen Vernetzung seiner Regionalgruppen sowie seiner publizistischen Arbeit einen Zuschuß von 4.150 DM für Computerhardware beantragt. Davon wurden 1.500 DM bewilligt. Die noch fehlenden 2.650 DM werden nun bei anderen Stiftungen und Fördervereinen beantragt, unter anderem dem Berliner lesbisch-schwulen Förderkreis elledorado e.V. Verschiedene Mitglieder dieses Vereins sind bereits recht gut über die Aktivitäten des whk informiert, etwa durch ein Förderabo von Gigi.
whk jetzt auch in Sachsen
Das whk hat seit Mai mit Sylvia Siebert eine Ansprechpartnerin in Sachsen. Die diplomierte Ingenieurin ist derzeit hauptamtlich mit Gleichstellungsfragen befaßt. Sie arbeitet ehrenamtlich im Dresdner Lesben- und Schwulenverein "Gerede e.V." mit und gehört ferner zu den Mitbegründerinnen der bundesweiten lesbischen Anti-Homo-EheAktion "Schlampagne". Zunächst will sie in der sächsischen Landeshauptstadt einen Lesekreis für die vom Förderverein des whk herausgegebene sexualpolitische Zeitschrift Gigi aufbauen.
Demo für Corpus Christi
Das whk Südbaden organisiert derzeit für den 18. Juli eine politische Demo in Freiburg, an der sich auch die Antifa, die Linke Liste und noch einige andere Gruppen beteiligen wollen. Es geht um die Unterstützung der Intendanz des Freiburger Theaters. Diese ist seit Wochen massivem Druck rechter und religiöser Fanatiker ausgesetzt, weil sie anläßlich des Theaterfestivals das Stück "Corpus Christi" des Pulitzerpreisträgers Terrance McNally auf den Spielplan gesetzt hat.
In dem Drama wird Jesus mit einer Sexualität ausgestattet: Er liebt seine Jünger und ergeht sich mit ihnen in recht menschlichen Verlustierungen, spricht neben dem Unkeuschen etwa auch dem Alkohol zu. Am 18. Juli soll das Stück in Freiburg Premiere haben.Eingaben beim Deutschen Presserat
Zweimal rief das whk den Deutschen Presserat an, zunächst am 31. März gegen die tageszeitung (taz) "wegen schwerwiegender Verletzung des Pressekodex". Anlaß war der Artikel "Der Jörg will eh bloß kuscheln" vom 21. März 2000. Die "Regeln für einen fairen Journalismus" hatte Autor Jochen Herdieckerhoff bei seinem durchweg spekulativen Haider-Outing in mehrfacher Hinsicht grob mißachtet, indem er sich nahezu ausschließlich den vermeintlichen homosexuellen Neigungen des österreichischen Neofaschisten widmete, an denen, sofern vorhanden, keinerlei legitimes öffentliches Interesse bestehen kann. Ferner verletzte er Persönlichkeitsrechte Unbeteiligter, indem angebliche Intimpartner Haiders namentlich genannt wurden. Der Sensationalisierung dienen darüber hinaus homophobe Schlüsselbegriffe wie "anderes Ufer", "strafrechtliche Schwulitäten" und "verschwitzte Männerbündelei". Überdies brachte er Homosexuelle in den Ruch von "Jugendgefährdung", Prostitution und Sextourismus mit Phrasen wie "Landpartien ins junge Gemüse jenseits der nahe gelegenen slowakischen Grenze", "Lieblingsbuberl", "knabenhafter Jungspund" und "Stricherszene".
Politisch verheerend sei die sexuelle Denunziation, so die Beschwerde, "für die gebotene scharfe Auseinandersetzung mit Haiders politischen Zielen", weitaus gefährlicher sei jedoch, daß sie "das bereits seit den frühen 30er Jahren virulente Stereotyp vom 'homosexuellen Nazi' wiederbelebt. Auch das widerspricht eklatant dem Pressekodex."
Die zweite Beschwerde erging Anfang Juni gegen das Berliner Szeneblatt Siegessäule. Dies hatte im Februar in einem redaktionellen Beitrag behauptet, der Redakteur des Gay Express Jürgen Bieniek habe gegen whk-Mitglieder Klage "wegen Volksverhetzung und Verleumdung" eingereicht. Eine Richtigstellung von whk-Mitglied Georg Klauda blieb ohne Resonanz. Statt dessen brachte die Siegessäule in der März-Ausgabe eine Formulierungskorrektur, in der die Behauptung nicht als falsch, sondern lediglich als Zitat Bienieks deklariert wurde. Weder seitens Bienieks Anwälten noch der Berliner Staatsanwaltschaft liegt ein halbes Jahr nach der ersten öffentlichen Äußerung Bienieks in diese Richtung im Dezember 1999 eine Bestätigung für die Existenz einer solchen Klage vor. Da dies leicht zu recherchieren ist, liegt eine grobe Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht vor.
Protest gegen Grundrechtereport
Am 22. Mai wurde im Berliner Bonhoeffer-Haus der Grundrechtereport 2000 (Rowohlt-Verlag) vorgestellt. Hierzu gab es eine gemeinsame Protestaktion von Schwulen Kriegsdienstgegnern e.V., der Beirätin der Informationsstelle Militarisierung (IMI), Claudia Haydt, pazifistischen Mitgliedern des arbeitskreises kritischer juristinnen und juristen (akj) und des whk.
Anlaß waren zwei Beiträge, die die Einbindung von Menschen in militärische Strukturen zum Grundrecht erheben. "Die Herausgeber unterstützen damit militaristische Positionen und Argumentationsmuster", hieß es in der vor den Anwesenden und Gästen verlesenen Erklärung. Konkret handelt es sich um die Artikel "Kampfkraft der Truppe geschwächt Homosexuelle in der Bundeswehr" von Volker Beck/Günter Dworek sowie "Frauen an die Waffen Ein Urteil mit weitreichenden Folgen" von Katharina Ahrendts. Keiner der beiden Artikel thematisiert die Rolle der Bundeswehr als kriegführende Maschinerie und ihre Beteiligung am Angriffskrieg auf Jugoslawien. Statt dessen wird die Unterdrückung von Schwulen und Frauen dazu mißbraucht, Soldat oder Soldatin zu sein als "normalen Beruf" darzustellen. Mit der Aktion wurde klargestellt, daß es weder für Frauen noch Männer Dienst an der Waffe geben darf. "Das Eintreten für eine konsequente Gleichberechtigung von Frauen und Schwulen ist nur im Bereich der zivilen Gesellschaft legitim."
Aktion Bundespresseamt
Am 24. Mai übergab der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) 20.000 Unterschriften aus seiner "Aktion Ja-Wort" für sein anti-homosexuelles Sondergesetz "Eingetragene Lebenspartnerschaft" ans Bundesjustizministerium. Zur Pressekonferenz verteilte die Berliner whk-Regionalgruppe im Bundespresseamt umfangreiche Infomappen an die wenigen JournalistInnen (der LSVD verfügte über nichts dergleichen).
Schwerpunkt der whk-Presseerklärung war, daß der nicht einmal 0,0005 Prozent der in Deutschland lebenden Homosexuellen repräsentierende LSVD seit Jahren die Kritik an der "Eingetragenen Partnerschaft" ignoriert, er sich Diskussionen durch Terminabsagen entzieht, Ehekritikern die Mitgliedschaft verwehrt, sich aber dennoch die Alleinvertretung der Lesben und Schwulen anmaßt. Eine umfangreiche whk-Information listete prominente Statements zu Unsinn und Gefahren der Homo-Ehe auf vom Lesbenring über die Deutsche AIDS-Hilfe bis zur Humanistischen Union.
Geschäftsstelle?
Aktuell sucht das whk nach Möglichkeiten, noch in diesem Jahr eine Bundesgeschäftsstelle in Berlin einzurichten, da die Arbeit kaum noch ohne feste Adresse zu bewältigen ist. Zentral wird dabei die Frage sein, wie die Miete aufzubringen ist. Hier wird der Förderverein des whk e.V. zielgerichtet SympathisantInnen ansprechen, die bereit und in der Lage wären, monatliche Mietzuschüsse ab 50 DM zu spenden. Zwei Personen haben dies bereits fest zugesagt.
Platzangst
"Die DKP muß ihr Verhältnis zu jenen sozialen und politischen Kräften in der Gesellschaft der BRD exakter bestimmen, die sich ebenfalls gegen Sozial- und Demokratieabbau wehren oder wie wir im Kampf gegen Krieg, Rassismus und Faschismus aktiv sind." Das Dialogangebot der Parteizeitung Unsere Zeit verhallte beim whk Rheinland nicht ungehört, deshalb bat Bundessprecherin Dirk Ruder Anfang Februar um Zulassung eines Infostandes während des Parteitages vom 2. bis 4. Juni in Duisburg-Rheinhausen. "Wir haben erst in diesen Tagen uns die Halle ansehen können, um die Frage der Platzaufteilung zu machen", so die Antwort Christian Kolbers vom Sekretariat des Parteivorstands am 19. Mai. "Danach haben wir uns entschieden, nur auf Organisationen, die unmittelbar mit uns zusammenhängen (...) zu orientieren (...) denn ansonsten hätten wir für 14 weitere Stände Platz schaffen müssen."
Top & Flop
Am 27. Mai wurden die Ergebnisse einer Leserlnnenumfrage des Berliner Szenekalenders Siegessäule bekanntgegeben. Das Resultat war ernüchternd für das whk, das von der Redaktion des nach eigenen Recherchen "gehaltvollsten Blattes der Szene" als "größte Nervensäge" nominiert worden war: Letzter Platz! Das whk nervt also zu wenig und wird sich nun einiges einfallen lassen, um dies zu korrigieren. Hier die komplette Rangfolge: Regisseur Rosa von Praunheim (246 Stimmen), Sänger Donato Plögert (222), Volksvertreter Volker Beck (125) Transentreff-Organisatorin Carola Josten (87) und whk (65). Immerhin lag das whk noch vor folgenden Eigenvorschlägen des Siegessäulen-Publikums: Helmut Kohl (5), Georg Uecker (5), Desiree Nick (4), Stefan Raab (3), Nina Queer (2), Lilo Wanders (2), "Arno und die Morgencrew" auf 104.6 RTL (2), Ingolf Lück (1), Biggy van Blond (1), Wolfgang Joop (1) und Sabine Christiansen (1).
Als Lesernominierung tauchte das whk nochmals unter "Lieblingsfeinde" auf: Mit zwei Stimmen lag es gleichauf mit Bundeswehr, Helmut Kohl und LSVD.