Mitteilungen des whk Okt../Nov. 1999
Wir scheißen auf Euer Ja-Wort! Aber warum denn bloß?
Es ist notwendig, die Rolle patriarchalisch-heterosexueller Zwangsnormen bei der Formung des vorherrschenden homosexuellen Lebensstils deutlich zu machen. Daraus wird eine grundsätzliche Kritik der gegenwärtigen Sexual-, Ehe- und Familienpolitik abzuleiten sein. Denn eine Integrationspolitik, die die Anpassung der Schwulen und ihre Einbindung in heterosexuelle Partnerschaftsvorstellungen betreibt und deren normative Institutionen als für Schwule tauglich und erstrebenswert darstellt, akzeptiert nicht das lebensgeschichtlich Andere an Schwulen (in der konkreten historischen Situation). Sie führt zu einer Heterosexualisierung der schwulen Minderheit und entlarvt sich als weiteres Instrument der Unterdrückung.
So formulierten es die Gründer des Schwulenverbandes der DDR (SVD) in ihrem am 18. Februar 1990 beschlossenen Programm. Doch schon bald darauf übernahmen vornehmlich grüne Politkarrieristen aus dem Westen den Verband und säuberten ihn radikal von solch feministischem, subversiven Quatsch. Statt dessen wurde die Homo-Ehe erfunden und auf die Tagesordnung gesetzt. Im August 1992 startete der damalige SVD das D stand nun für Deutschland die Aktion Standesamt. 1996 folgte ein warm up, die Aktion Traut Euch!, und im März 1999 begann der nunmehrige Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) seine Aktion Ja-Wort für eine Eingetragene Lebenspartnerschaft, eine Light-Variante der Homo-Ehe, deren Diskriminierungspotential enorm ist.
Der eigentliche Skandal dieser Kampagne liegt aber darin, daß, anstatt eine Debatte mit den von einem solchen Rechtsinstitut Betroffenen zu führen, es einer heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft anheimgestellt wird, zu entscheiden, welche Rechte Lesben und Schwule bekommen sollen und welche nicht. Es ist eine Verneigung vor der Homophobie, ein Reflex von Selbsthaß und für alle selbst Denkenden eine unerträgliche Bevormundung. Andererseits ist es schockierend, mit welcher Arroganz der keine 2.000 Mitglieder zählende LSVD sich anmaßt, für alle Lesben und Schwulen zu sprechen, obwohl die Homo-Ehe nur ein Partikularinteresse weniger Homophiler darstellt und als juristischer Rahmen alternativer Lebensweisen im wesentlichen unbrauchbar ist.
Brauchbar ist sie aber zu deren einengender Normierung nach heterosexuellen Mustern, zur sexuellen Disziplinierung und Ausübung sozialer Kontrolle und als grundlegendes Strukturelement der Frauenunterdrückung. Mit ihr wird der Staat in die Betten zurückgeholt, die Hausfrauen- und Alleinverdienerehe wird durch diese groteske Kopie auf der Strukturebene bestätigt und zementiert. Folglich finden sich immer mehr Befürworter der Homo-Ehe im konservativen bis rechts-bürgerlichen Spektrum inzwischen selbst bei der CDU. Denn das Konzept Homo-Ehe paßt hervorragend zum neoliberalen Gesellschaftsmodell; es entlastet den Staat, es entsolidarisiert die Menschen voneinander, es beschränkt die Freiheiten und Rechte des Individuums und sichert so politische Herrschaft.
Das whk hat beschlossen, sich dem als bundesweite sexualemanzipatorische Assoziation entgegenzustellen. Es wird nicht auf die populistischen Formen zurückgreifen, derer sich der LSVD, seine Ableger und Verbündeten in Parteien und Wirtschaft etwa die Schwulen Sozialdemokraten, die grüne BAG Schwulenpolitik, die schwulen Manager des Völklinger Kreises oder die HuK bedienen. Es wird keine Unterschriftenlisten anlegen, mit von der Thematik völlig unbeleckten Prominenten hausieren gehen oder Schleimspuren bei Boulevardmedien hinterlassen. Vielmehr will das whk mit Plakaten, Aufklebern, Postkarten, Zeitungen, Flugblättern und Rundfunkjingles zunächst in der lesbischen und schwulen Binnenöffentlichkeit die Diskussion wiederentfachen, die vor Jahren abgebrochen wurde. Denn es gibt genügend alternative Konzepte zur Ehe, und die sind in akuter Gefahr: Die absehbare Verwirklichung von Homo-Ehe oder Eingetragener Partnerschaft droht auf Jahrzehnte hinaus jeden wirklich emanzipatorischen Schritt unmöglich zu machen.
Pünktlich zum Start der vom whk - bundesweite Assoziation iniitierten Aktion Neinwort wurden auf der Pressekonferenz am 8.9. im Schwulen Museum die Plakate vorgestellt, deren Motive auf diesen Seiten zu sehen sind. Inzwischen gibt es auch eine Homepage unter
http://whk.org/neinwort/, über welche sowohl die neu erschienen Aufkleber mit ähnlichem Motiv als auch die Plakate selbst bestellt werden können. Ferner gibt es dort eine umfangreiche Dokumentation, Meldungen sowie den Neinwort-Jingle zum Download. Plakate und Aufkleber können natürlich auch auf dem üblichen Postweg oder per Telefon gegen eine geringe Schutzgebühr (1.- á Plakat, bzw. á 10 Aufkleber plus Versandkosten) bestellt werden. Geplant ist weiterhin eine Postkartenaktion; dazu aber später mehr.Aktiv gegen das Ja-Wort
Für den 8. 9. hatte das whk, in diesem Falle die bundesweite Assoziation, zu einer Pressekonferenz ins Berliner Schwule Museum geladen, um seine am nächsten Tag gestartete Aktion Neinwort Wir scheißen auf euer Ja-Wort vorzustellen. Wohl wissend, daß es schwierig ist, gegen eine jahrelang durch Propaganda manipulierte veröffentlichte Meinung anzukommen sowie in der begründeten Erwartung, daß die meisten Journalisten beim Thema Homo-Ehe nur noch gähnen, fiel die Einladung ein wenig informativer aus. Hier ist, gekürzt um die Einladungsformeln, der Wortlaut:
Heute gilt es als Ausweis von Toleranz, für das Ehe-Recht oder ein gleichwertiges Rechtsinstitut für homosexuelle Paare einzutreten. Erfinder dieser konservativen Forderung ist der mit bescheidenen 1.700 Mitgliedern kaum repräsentative Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD). Dessen Funktionärselite hat es binnen weniger Jahre unter dem irreführenden, inhaltlich falschen Etikett Gleiche Rechte geschafft, die heterosexuelle Mehrheit einer strukturell homophoben Gesellschaft für sein Verbandsziel zu mobilisieren.
Das Ziel Homo-Ehe respektive Eingetragene Partnerschaft ist aber selbst diskriminierend und stimmt folglich keineswegs mit den Interessen aller Lesben und Schwuler, ja nicht einmal denen eines inzwischen überwiegenden Teils der Heterosexuellen überein: Immer weniger lassen sich ins Korsett der Ehe zwingen. Sie wollen souverän über ihre Lebensformen entscheiden und sich keiner sozialen Kontrolle mehr ausliefern. Und sie wollen ein paar staatliche Privilegien wie günstigere Steuerklassen nicht mit der Rechenschaftspflicht darüber erkaufen, mit wem sie leben oder ins Bett gehen. Was sie brauchen, sind frei delegierbare Angehörigenrechte.
Der LSVD hat im Frühjahr seine populistische Aktion Ja-Wort gestartet. Zur Verteidigung der Freiheit der Lebenskonzepte und der Rechte Alleinlebender setzt das whk als Wiedergründung der ersten sexualemanzipatorischen Organisation der Welt am 9. September seine bundesweite Aktion Wir scheißen auf euer Jawort dagegen.
Durchgeknallt
Zu mit Positionen der DVU kompatibel und wirklich reaktionär hat der Redakteur der in Frankfurt/M., Hamburg und Berlin verteilten Gay Express, Jürgen Bieniek, in der September/Oktober-Ausgabe des Szeneblattes die Anti-(Homo)Ehe Aktion des whk erklärt.
Bieniek, Mitglied des LSVD, agiert in besagtem Kommentar zur Untermauerung seiner primitiven Anschuldigungen einmal mehr antisemitisch und rassistisch, indem er Juden und Türken für seine anti-emanzipatorische Argumentation benutzt. Apropos DVU: Der Gay Express ist auch bevorzugtes Organ für Kriminalreports, die mit rassistischen Klischees arbeiten und mit Informationen vom Schwulen Überfalltelefon des Infoladens Mann-o-Meter versorgt werden. Auch bei Mann-o-Meter ist Bieniek Mitglied.
Eine ausführliche Analyse zum neuen Antisemitismus schwuler Medien erscheint übrigens in der Novemberausgabe des Hamburger Politmagazins Konkret.ad libido
Anfang September wurde in der Berliner Schwulenkneipe ad libitum einer whk-Sympathisantin das Aufhängen eines Anti-Homo-Ehe-Plakats untersagt. Mit den Worten: Wir wollen hier unseren Spaß verhinderte der sich namentlich nicht ausweisende, jedoch als Geschäftsführer Auftretende ganz nach Belieben eine freie Diskussion ums heiße Thema: jedenfalls in diesen, seinen Räumlichkeiten. Im gleichen Laden wurde übrigens einige Zeit vorher das Angebot, die vom whk herausgegebene Zeitschrift Gigi zum Lesen auszulegen, mit dem kenntnisreichen Kommentar Die liest hier sowieso keiner abgelehnt. Daß auch Zensur eine Art politische Handlung ist, wird progressiven Lesben und Schwulen klar sein. Allen anderen weiterhin viel Spaß im ad libitum!
CSD Berlin 2000: Linke Gruppen verlassen den Vorbereitungskreis
Am 7. Oktober beschloß das in den Räumen der Berliner AIDS-Hilfe tagende CSD-Forum der Berliner lesbischen und schwulen Projekte mehrheitlich, daß der aus dem Gremium heraus zur organisatorischen Absicherung des Christopher Street Day gegründete CSD Berlin e.V. an keinerlei Beschlüsse des Forums mehr gebunden sein soll, nicht einmal an die drei zentralen über Motto, Forderungskatalog und Demo-Route.
Die Mehrheit in der Abstimmung kam dadurch zustande, daß der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland siehe Schema alle seine meist durch Personalunion angeschlossenen Anstalten mobilisiert hatte und selbst nicht davor zurückschreckte, zusätzlich zum maßgeblichen Landesverband Berlin-Brandenburg seinen Jugendverband SVD fresh und den Bundesverband aufkreuzen zu lassen. Er ergaunerte sich damit eine solide Majorität in der Runde von sage und schreibe 30 Stimmen.
Die rechtskonformistischen Schwulen haben es damit einmal mehr geschafft, die Basisdemokratie auszuhebeln und entsprechend ihren Machtbedürfnissen eine Demokratie ohne Demokraten zu verwirklichen. Dem CSD Berlin e.V., der alles, nur nicht die soziale, politische und kulturelle Vielfalt der hauptstädtischen Lesben-, Schwulen-, Trans-, Bi- und Intersexuellenszene repräsentiert, wurde Generalvollmacht über den Berliner Christopher Street Day erteilt, womit das CSD-Forum praktisch nicht mehr existiert. Der Verein hat als Teil einer personell wie inhaltlich eng verflochtenen konservativen Seilschaft aus vornehmlich dem schwulen Infoladen Mann-o-Meter e.V., der Mann-o-Meter GmbH, dem LSVD, dem Schwulenbereich der Berliner Grünen sowie dem Sonntags Club e.V. eine klare politische Ausrichtung.
Da das CSD-Forum nun keinerlei Befugnisse und nur mehr beratende Funktion haben soll, hat das whk ebenso wie andere linke Projekte (darunter das SchwuZ, Schwulenreferat im AStA der FU, Schwestern der Perpetuellen Indulgenz und das Café Transler) beschlossen, damit keine Zeit du Energie mehr zu verschwenden und letztlich der ganzen Farce noch ein demokratisches Mäntelchen umzuhängen. Demonstrativ verließen die VertreterInnen dieser Gruppen nach dem Beschluß das Forum.
Absehbar ist nun, daß es im Jahre 2000 einen rechten CSD in Berlin geben wird, der ohne antirassistische oder emanzipatorische Forderungen durchs Nationale Symbol Brandenburger Tor zieht. Für den rechten Zeitgeist wird mit Jürgen Bieniek voraussichtlich auch wieder ein beim CSD e.V. angestellter Pressesprecher sorgen, der in letzter Zeit vor allem mit antisemitischen Argumentationsmustern für Furore sorgt. Was er von Antirassismus hält, ließ er die Forums-TeilnehmerInnen an jenem 7. Oktober wissen: Dann mußt du selber die Zeitung gründen, die deinen Scheiß druckt brüllte er auf die Frage in den Saal, wo denn in seiner Pressearbeit die drei antirassistischen Forderungen aus dem Katalog des letzten Berliner CSD geblieben seien.
Gewählt!
Astrid Keller von der Regionalgruppe Ruhr des whk hat es geschafft: Sie wird künftig für das Linke Bündnis im Stadtrat von Dortmund sitzen. Bei den Kommunalwahlen in NRW am 12. September war sie als Spitzenkandidatin für das Bündnis angetreten, zu dem sich PDS, DKP und unabhängige Linke zusammengefunden hatten. Die erzielten 0,96% der Stimmen reichten letztlich für einen der 82 Sitze im Stadtparlament. Keller, die das Mandat annahm, will sich dort künftig vor allem der MigrantInnen- und Gleichstellungspolitik widmen, aber auch deutliche Akzente gegen Rechts setzen. Immerhin gewann die neofaschistische DVU in Dortmund auf Anhieb zwei Mandate.
Die whk-Bundessprecherin Dirk Ruder, die als Parteilose auf der offenen Liste der PDS für den Stadtrat von Moers kandidierte, hat hingegen kein Mandat erhalten. Nicht zuletzt dank seiner Mithilfe im Wahlkampf und bei der Formulierung des Wahlprogramms wird die Liste aber mit einem Sitz in Moers vertreten sein.
Bei den Berliner Landtags- und Kommunalwahlen konnte die PDS drei der 36 Sitze in der Bezirksversammlung des Westbezirks Kreuzberg erzielen. Spitzenkandidatin war Michaela Lindner, ehemals Bürgermeisterin von Quellendorf und Ehrenmitglied des whk. Parallel dazu hatte sie sich in Charlottenburg als Direktkandidatin für das Abgeordnetenhaus geworben, ohne Erfolg. Im Zuge der Bezirksreform werden ab 2000 die Bezirksparlamente von Friedrichshain (Ost) und Kreuzberg (West) gemeinsam tagen; dann wird Lindner der mit 18 Abgeordneten größten Fraktion in der BVV Oberbaum angehören.
Meldungen des whk in einem Satz
* Die bisherige Rufnummer von whk-Bundessprecherin Jürgen Nehm ist seit Ende August nicht mehr gültig; wir bitten zwecks Kontaktaufnahme um Verwendung der Nummer 0180/4444945.
* Das für den 13. September erstmals angekündigte offene Plenum der whk-Regionalgruppe Berlin mußte leider ausfallen; Grund waren Renovierungsarbeiten in den Räumen der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft (AHA) am Mehringdamm.
* Beim whk haben sich im letzten Monat InteressentInnen und Interessenten aus verschiedenen Bundesländern gemeldet und ihre Mitarbeit als regionale AnsprechpartnerIn angeboten darunter mit Sachsen erstmals aus einem östlichen Bundesland ; Näheres dazu gibts in den nächsten Mitteilungen.
* Durch den Umzug der Bundesgeschäftsstelle des Lesbenrings e.V. nach Berlin haben sich neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit für das whk mit der feministischen Organisation ergeben; das whk strebt für die kommenden Wochen ein Koordinierungstreffen mit Lesbenring-Frauen an, insbesondere zur Abwehr irgendwelcher Sondergesetze für homosexuelle Frauen und Männer.