Wie selbstbestimmt können Schwule und Lesben heute leben?Position sprach mit Eike Stedefeldt
Die Berliner Republik präsentiert sich, gerade unter Rot-Grün, gerne als weltoffen und tolerant. Schwule und Lesben sind nicht mehr randständig, sondern bis in die staatstragende Prominenz vorgerückt. Trügt der Eindruck, dass offene Diskriminierung der Vergangenheit angehört?
Ich denke schon. Natürlich haben wir keine Strafverfolgung für Homosexualität unter Erwachsenen mehr, was ein großer Fortschritt ist. Aber die von einer freien, selbstbestimmten Wahl der Lebensweise und das schließt die freie Wahl der sexuellen Beziehungen ein kann keine Rede sein. Beispiele finden sich zuhauf: Das staatliche Bildungswesen vermittelt immer noch das Ideal der heterosexuellen Familie, die auf der bürgerlichen Ehe basiert, die wiederum auf Monogamie ausgerichtet ist. Schulen sind in dieser Hinsicht Verhinderungsanstalten für ein schwules, lesbisches oder sonstiges nicht-heterosexuelles Coming out. Oder sehen wir uns die erst 1999 novellierten Richtlinien der Bundesärztekammer zur assistierten Reproduktion an, die Gesetzeskraft haben. Darin steht explizit, daß sich die künstliche Befruchtung bei lesbischen Frauen oder in homosexuellen Partnerschaften verbietet jawohl: "verbietet". Und was die Repression gegen schwule Sexualität angeht: Das whk hat im Juli in seiner Zeitschrift Gigi eine Chronik veröffentlicht, die zeigt, daß die polizeilichen und ordnungsamtlichen Razzien, Personenkontrollen und Überwachungen von Parks, Saunen, Bars und öffentlichen Toiletten, den sogenannten Klappen, wo Männer Sex mit Männern suchen, seit 1980 keineswegs zurückgegangen sind. Im Gegenteil, der Druck, die Gefährdung des promisken und damit subversiven Lebens der eigenen Sexualität durch den Staat nimmt zu. Die Beispiele ließen sich fortsetzen wir leben weiterhin in einem Klima repressiver Toleranz.
Wie ist das Bemühen der Lesben- und Schwulenverbände um Gleichberechtigung zu beurteilen?
Zunächst ist das Bemühen um Gleichberechtigung ja nichts Negatives. Indes muß man immer fragen: Was ist das für eine Gleichberechtigung, mit wem und womit wird gleichgestellt? Stellen wir Frauen mit Männern gleich, indem wir sie an allen Waffen mitmorden lassen oder doch lieber, indem wir auch Männer nur noch zu zivilen Berufen zulassen? Stellen wir Schwule gleich, indem wir sie Offizier werden lassen oder indem wir das auch heterosexuellen Männern verweigern? Das ist der grundlegende Unterschied zwischen emanzipatorischer und reaktionärer Politik. Emanzipation ist nur von, aber nicht in repressiven Systemen möglich.
Damit stehen wir vor der grundlegenden Frage: Soll Gesellschaft radikal demokratisiert, in ihren Wurzeln verändert werden oder will man sich nur möglichst gemütlich im Negativen einrichten? In dieser Beziehung muß man den Homo-Verbänden sowohl dem formal überparteilichen Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD), aber auch Fachverbänden wie etwa dem Völklinger Kreis (VK), der sich als Managerverband versteht, und erst recht solchen Konsorten wie dem Bundesarbeitskreis schwuler Soldaten (BASS) ein intellektuelles Armutszeugnis ausstellen. Die betrachten die Gesellschaft stets von der großen Öffnung des Trichters aus, ihr Blick verengt sich damit auf Einzelfragen. Daß die Repression Systemcharakter hat, können sie mit diesem Trichterblick nicht erfassen. Sie führen in der Folge Kleinkriege um irgendeine "Gleichberechtigung" und merken gar nicht, daß sie infolge ihrer politischen Inkonsequenz, die sich leider meist noch paart mit bedauernswerter Inkompetenz und Unbildung, längst Teil der Gegenseite geworden sind und vom System als nützliche Idioten benutzt werden. Dialektik ist halt nicht die Stärke sogenannter Bürgerrechtler.
Das wissenschaftlich-humanitäre komitee hat eine Aktion Neinwort" gegen die so genannte Homo-Ehe initiiert. Wer soll mit dieser Aktion erreicht werden, welche Forderungen beinhaltet sie?
In der Homo-Ehe haben wir ein prima Beispiel für die Stabilisierung des Apparates, der einen unterdrückt. Die konservativen Homo-Verbände haben alles getan, um die Ehe ideologisch aufzuwerten, indem sie deren Öffnung für sich forderten. Dabei hat die Frauenbewegung dieses Herrschaftsinstrument 120 Jahre lang mit gutem Grund bekämpft als Instrument für soziale Kontrolle, politische Disziplinierung, als Hort von sexueller Gewalt und Frustration und ökonomischer Abhängigkeit. Herausgekommen ist, als sich der Staat daranmachte, diese Forderung zu realisieren, folgerichtig wieder Diskriminierung: Nicht im mindesten werden Homo-Paare rechtlich gleichgestellt das signalisiert, was es soll, nämlich Minderwertigkeit , aber man registriert und erfaßt sie wieder ganz legal, sie werden kontrollierbar. Es ist wie eine Selbstanzeige, wenn man als Schwuler oder Lesbe zum Anstandsamt geht. Der Rassismus des deutschen Ausländerrechts liegt auch diesem Gesetz zugrunde, er wurde gar nicht erst in Frage gestellt, ebensowenig wie die ökonomischen Verhältnisse, die Leute erst dazu treiben, zu heiraten bzw. sich registrieren zu lassen. Es ist der blanke Irrsinn. Die "Aktion Neinwort", die inzwischen ausgelaufen ist, hat genau dies bekämpft und statt dessen das Konzept der "Wahlverwandtschaften" propagiert. Das heißt: Jede/r legt selbst fest, wem er welche Angehörigenrechte übertragen will. Also: Mein Lebenspartner bekommt Auskunfts- und Entscheidungsbefugnisse im Krankheitsfall, mein Lieblingsbeischläfer ist Alleinerbe und so weiter. Und ganz wichtig: Ehegattensplitting und sonstige Steuervor- oder nachteile gibt es nicht, jede/r tritt dem Staat als Individuum unabhängig von seiner oder ihrer Lebensweise oder Partnerschaftsbeziehungen gegenüber. Das wäre ein progressives Konzept gewesen und hätte eine lebbare Alternative zur Ehe unabhängig von Sexualitäten und Geschlechtern dargestellt. Daran hätte man in ein paar Jahren gesehen, was die bürgerliche Ehe wirklich noch wert ist. Konkret: wie unattraktiv, welch enges Korsett für die freie Entfaltung des Individuums sie tatsächlich ist.
Die linke Schwulenbewegung kritisiert die in der eingetragenen Partnerschaft festgeschriebene Unterhaltspflicht, weil sie eine Abhängigkeit herstellt. Ist dies aber nicht gleichzeitig eine soziale Schutzfunktion, die bisher der Ehe vorbehalten war?
Natürlich hat sie diese Schutzfunktion gegenüber dem Staat vor allem, aber auch vor den übelsten Folgen des Kapitalverhältnisses. Nur muß man sich, um den Widersinn dieses Arguments zu begreifen, den Fakt klarmachen, daß die Ehe die Einzelnen gerade vor dem System schützt, das sie schutzbedürftig macht und zwar eher schlecht als recht. Die Ehe wie auch die abgespeckte Homovariante definieren ja nicht eine Binnenbeziehung zwischen souveränen Individuen wenn sie echt ist, bedarf sie wohl kaum der Legitimation Dritter , sondern sie definieren das Verhältnis dieser Beziehung zu Staat und Gesellschaft, indem sie Abwehrrechte gegen die Willkür von beiden begründen, aber eben auch staatliche Eingriffsrechte. Man braucht nur mal beim Arbeits- oder Sozialamt gewesen zu sein und Leistungen beantragt zu haben. Die ersten eingetragenen Paare haben das bereits erfahren dürfen und beklagen sich nun bitterlich: Jetzt wird der eingetragene Partner herangezogen zum Unterhalt. Das Problem wäre gar nicht entstanden, wenn der Staat sich um die sexuellen oder sonstwie engen Beziehungen der Leute gar nicht kümmern würde, die ihn bitte schön auch gar nichts anzugehen haben.
Die Werbung hat Homosexuelle längst als zahlungsstarke Zielgruppe entdeckt. Ist das kein Ausdruck von Emanzipation?
Das ist der selige Kinderglaube von Leuten, die das Kapital nicht gelesen haben und keinen Emanzipationsbegriff haben. Wo immer es Umsatz und Profit wittert, werden Kundenfallen aufgestellt. Meine Bank etwa versucht soeben, mit einem schwulen Paar zu werben. Das ist so herzallerliebst, daß man fast vergessen könnte, daß man es mit dem organisierten Verbrechen zu tun hat, was Banken nun mal sind. Andererseits ist die These von der zahlungskräftigen Zielgruppe äußerst gewagt. Auch in dieser Szene existiert massive Armut und haben etwa lesbische Frauen mit Kindern enorme Probleme, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Als Frauen verdienen sie ohnehin weniger als Männer, als oft Alleinerziehende wird das Geld noch knapper. Und bei den Schwulen darf man nicht vergessen: HIV und AIDS haben hier bei vielen betroffenen Männern zu dramatischer Verarmung geführt, und die rot-grüne Rentenreform sorgt nun durch die Abschaffung der Erwerbsunfähigkeitsrenten für die Verelendung jüngerer chronisch Kranker, die wenige Erwerbsjahre vorweisen können. Aber die Kapitallogik ist eine andere: Man setzt auf Teilmengen; es tappen immer noch genügend Leute in die Falle, damit der Profit stimmt.
Die SDAJ fordert in ihrem Zukunftspapier ein Recht auf selbstbestimmtes Leben. Was heißt das mit Blick auf das eben Gesagte über die Abwesenheit von Diskriminierung hinaus?
Na, sagen wir es mal drastisch: Recht auf selbstbestimmtes Leben zu fordern heißt im kapitalistischen Staat, sich quasi zum Staatsfeind zu erklären. Emanzipation ist nicht teilbar, man wird, um das Ziel zu erreichen, das System als solches umstürzen müssen. Die Hoffnung habe ich nicht mehr. Aber auch anscheinend kleine Schritte wie die oben beschriebenen könnten das Leben schon bei weitem erbaulicher machen, die stete Angst der großen Mehrheit der Menschen vor sozialer Not abbauen.
Wo siehst du Ansatzpunkte, um das Ringen um Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben mit einer weitergehenden emanzipatorischen Bewegung zu verbinden?
Nirgends. Es mag ketzerisch klingen, aber "die Lesben und Schwulen" als identitäre Bewegung haben ausgerungen. Ihre einzige Chance wäre es, endlich das Ghetto, in welchem sie ins Reaktionäre umgekippt sind, zu verlassen, sich was ohnehin nie funktioniert hat nicht mehr nur über ihre sexuelle Varietät zu definieren und ihre politische zu negieren. Damit, aber nur damit könnten sie wieder vom Spielball übergeordneter Interessen zum politisch subversiven Subjekt werden. Doch der Zug scheint mir vorerst abgefahren. Oder hast Du eine Idee, mit welcher emanzipatorischen Bewegung sie sich noch verbünden könnten? Studentenbewegung? Tot. Friedensbewegung? Gnadenschuß. Frauenbewegung? Abgehakt. Umweltbewegung? Grüner Punkt und weg. Nee, ich habe seit langem keine emanzipatorische Bewegung mehr gesehen.
Arvid, Hamburg