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"Absurd und kindisch"
Eine Anfrage des Hamburger Szenemagazins hinnerk vom 17. Oktober 2006 zur Haltung des whk zu dem nach öffentlicher Kritik (insbesondere in Form einer Kampagne der Zeitschrift EMMA gegen den angeblichen Ausschluß von Lesben aus dem Entwurf, der den künstlerischen Wettbewerb gewonnen hatte) vorerst nicht realisierbaren staatlichen Homo-Mahnmal in Berlin beantworteten der Hamburger Historiker Wolfram Setz sowie Eike Stedefeldt (whk Berlin) wie folgt:
Als Position des whk hat sich eine mehr oder weniger starke grundsätzliche Infragestellung des jetzt geplanten Mahnmals herauskristallisiert. Die Gründe dafür liegen weit im politischen Vorfeld der durch den EMMA-Artikel ausgelösten Diskussion um den konkreten Entwurf. Diese Diskussion ist vom Kern der Sache weit entfernt ist und nur absurd und kindisch.
Seitens des whk gibt es mehrere Kritikpunkte.
1. Der jetzige Entwurf ist nicht denkbar ohne den Bundestagsbeschluß zur Errichtung des Holocaust-Mahnmals im Sommer 1999. Der mit Nachdruck gewünschte und genehmigte Standort gegenüber dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas spricht eine deutliche Sprache, die der preisgekrönte Entwurf überdeutlich zum Ausdruck bringt: eine einzelne wie aus dem Stelenfeld für die jüdischen Opfer vertriebene, ausgegrenzte, "schutzlose" Stele. Es konnte einfach kein anderer Entwurf gewinnen.
2. Das geplante Mahnmal fordert zu einem Vergleich, für viele sicher auch zu einer Gleichsetzung ("Homocaust" mit dem Massenmord an den europäischen Juden ("Holocaust") heraus. Damit wird letztlich der Holocaust relativiert. Die Art der Verfolgung von Homosexuellen durch die Nazis war indes grundsätzlich anderen Charakters als die Verfolgung der Juden: sie folgte keiner totalen Vernichtungslogik.
3. Das geplante Mahnmal blendet vollständig die Mitläufer- und Mittäterschaft Homosexueller an den Verbrechen des Nationalsozialismus aus (rein statistisch muß es angesichts von Millonen von Homosexuellen im Reich um ein Vielfaches mehr NS-Täter und -Mitläufer unter ihnen gegeben haben als NS-Opfer). Damit wird die Opfergruppe der Homosexuellen in geschichtsfälschende Konkurrenz zu den jüdischen Opfern gesetzt. Der Verdacht drängt sich auf, daß es den Initiatoren weniger um das Gedenken geht als darum, ein moralisches Faustpfand zur Durchsetzung aktueller und künftiger Forderungen zu bekommen.
4. Die "staatspolitische" Funktion des geplanten Mahnmals spricht, wenn nicht generell gegen ein "zentrales" Mahnmal, so zumindest gegen das jetzt geplante Mahnmal an diesem Ort. Es soll vordergründig "Reue", Toleranz und Akzeptanz gegenüber Homosexuellen demonstrieren, die von Fakten nicht gedeckt sind. Es soll errichtet werden auf Beschluß desselben Parlaments, das Diskriminierungen nicht auflöst, sondern eher festschreibt (siehe z. B. "Homo-Ehe"). Es wird finanziert durch einen Staat, der den überlebenden Opfern materielle Entschädigung weitgehend verweigert hat. Als "Staatskunst" hat es eine propagandistische Funktion und ist populistischer Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Verlogenheit.
Dies als Grundsätzliches dazu.
Die von EMMA angestoßene Debatte um die lesbische Repräsentanz im beschlossenen Entwurf erscheint vor diesem Hintergrund lediglich als Nebenschauplatz. Sie hat weder mit historischer Wahrheit und Suche nach Wahrhaftigkeit zu tun, noch ist sie von einem tieferen Verständnis dessen geprägt, was Kunst ist, kann und soll. Sie folgt einem bekannten Muster des Zentralorgans des rechten Feminismus: Nimm ein anscheinend sexistisches Phänomen, vertausche Wesen und Erscheinung, indem du alles Störende an Fakten und Wissen ausblendest, und stricke eine Kampagne daraus. Das ist von außen lustig zu beobachten, wenngleich man immer so auch in diesem Fall damit rechnen muß, daß selbst Leute, die man halbwegs bei politischem An- und Verstand glaubte, dort ernsthaft mitdiskutieren oder gar unterschreiben. Daß EMMA keine lesbischen BDM-Führerinnen und KZ-Wärterinnen thematisiert, scheint dabei indes niemandem aufzufallen.
Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Wolfram Setz, Hamburg
Eike Stedefeldt, Berlin