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An die TeilnehmerInnen des 19. Verbandstages des
Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland e.V.
im Bürgerzentrum Deutz
Tempelstraße 41-43
50679 Köln27. April 2007
Grußwort an den 19. LSVD-Verbandstag
Liebe Mitglieder des Lesben- und Schwulenverbands,zu Eurem Bundesverbandstag sendet Euch das wissenschaftlich-humanitäre komitee Grüße nach Köln.
Euer Verbandstag fällt in die Zeit zweier für Homosexuelle in diesem Lande wichtiger Jahrestage. Allseits bekannt ist die Bedeutung des historischen Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), das am 15. Mai vor 110 Jahren gegründet wurde und neben der Zweiten deutschen Schwulenbewegung und den Emanzipationsbestrebungen in der DDR eine unserer Traditionslinien bildet. Den §175 abzuschaffen war sein Hauptziel, der jedoch wurde statt dessen 1935 von den Nazis verschärft. Die postnazistische BRD übernahm ihn nicht nur so in ihr Strafgesetzbuch, sondern verbot ab 1949 auch alle Versuche einer Wiedergründung des WhK.
Damit wären wir beim zweiten Jahrestag: Am 10. Mai vor 50 Jahren entschied das Bundesverfassungsgericht, der verschärfte §175 sei kein NS-typisches Unrecht gewesen im Gegensatz zur DDR, welche die NS-Fassung schon 1950 als typisch nazistisch aufgehoben hatte. Damit waren homosexuelle Nazi-Opfer nicht nur vom Bundesentschädigungsgesetz ausgenommen, sondern standen oft genug wieder vor denselben ehemaligen NS-Richtern und landeten in denselben Zellen, in die sie von ihnen bereits unter den Nazis geschickt worden waren.
Erst am 13. April verstarb in Berlin Marion Gräfin Yorck von Wartenburg, als erste Vorsitzende einer großen Strafkammer und Landgerichtspräsidentin bis 1969 eine der schärfsten Verfolgerinnen. Bis heute als Vorbild für demokratische Gesinnung und Rechtsstaatstreue hoch gelobt, waren ihre Urteile selbst gemessen am Nazi-Paragraphen in der damaligen Öffentlichkeit wegen ihrer Härte heftig umstritten. Auch in Eurem Vorstand gibt es einen prominenten Zeitzeugen, der 1994 dem Schwulenmagazin magnus sagte: "Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, daß ich bei Strafverfahren nach §175 mitgewirkt habe, sofern sie in meine Zuständigkeit fielen, weil ich davon ausgehe, das war ein Gesetz, und solange das Gesetz in Kraft ist, muß man es respektieren." Daß der §175 sogar von schwulen Staatsanwälten so willig "respektiert" wurde, begründete zehntausendfaches Leid. Viele flohen aus Adenauers Verfolgerstaat ins Ausland, darunter in die DDR. Deren Rechtspraxis war es letztlich auch, die nach der Vereinigung die Bundesrepublik zur formalen Streichung des Schandparagraphen zwang.
Bei dieser Gelegenheit möchten wir unser bis heute leider unbeantwortetes Angebot vom 26. März 2006 erneuern, gemeinsam für eine Entschädigung der Opfer der BRD-Homosexuellenverfolgung aktiv zu werden.
Ebenso im Bewußtsein sollte die Tatsache bleiben, daß auch hierzulande noch und wieder Verfolgungsgelüste erkennbar sind. Sie äußern sich nur subtiler. So etwa im erst Ende März auf Initiative der Koalition gefaßten Bundestagsbeschluß, der den Weg bahnen könnte hin zur Kriminalisierung einvernehmlichen ungeschützten Geschlechtsverkehrs. Es ist auch ein Alarmsignal, daß die führenden schwulen Internet-Portale wegen Überwachungs- und Kriminalisierungsdrucks inzwischen aus Deutschland ins Ausland geflohen sind.
Auf Eurem Verbandstag werdet Ihr die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßen, Frau Dr. Martina Köppen. Eine gute Gelegenheit, sie mit dieser schändlichen, historischen Diskriminierung ebenso vertraut zu machen wie mit den konkreten Folgen eines Sonderbehandlung begründenden, weiter nur für Homosexuelle geltenden Sondergesetzes, dessen Scheitern die Euch freundschaftlich verbundene Bundesarbeitsgemeinschaft schwuler Juristen am 18. März öffentlich konstatierte: dem Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft.
In diesem Sinne wünschen wir Eurem 19. Verbandstag spannende, zur Schärfung des politischen Profils beitragende Diskussionen und Beschlüsse.
Eike Stedefeldt
whk Berlin / AG SchwulenpolitikP.S.: Wegen des großen Erfolgs bietet die sexualpolitische whk-Zeitschrift Gigi unter www.gigi-online.de weiter exklusiv für LSVD-Mitglieder ein spezielles LSVD-Abo an.