whk Rheinland/whk Ruhr
Grußwort zum Bundeskongreß der SDAJ am 20./21. April 2002 in Essen
Dortmund, den 17. April 2002
Liebe Freundinnen und Freunde,
zu Eurem SDAJ-Bundeskongreß in Essen sendet euch das "wissenschaftlich humanitäre komitee" (whk) die herzlichsten Grüße.
"Durch Wissen zur Gerechtigkeit" unter diesem Leitspruch gründete sich vor 105 Jahren in Berlin das historische WhK um den jüdischen Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld. Bis die erste sexualpolitische Vereinigung der Welt 1933 von den Faschisten zerschlagen wurde, konnten ihre Mitglieder beachtliche politische Aktivitäten entfalten. So kämpfte das WhK in den zwanziger und dreißiger Jahren mit maßgeblicher Unterstützung der KPD-Reichstagsfraktion für die Streichung des Schwulenparagraphen § 175, setzte sich für die Abtreibungsfreiheit von Frauen ein oder forderte die Verstaatlichung der Pharmaindustrie. Nach der Novemberrevolution leistete das "Institut für Sexualwissenschaft" Pionierarbeit in der Sexualforschung und -aufklärung.
Die politischen Aufgaben sind heute kaum geringer geworden.
Seit 1998 engagiert sich das als linke, bundesweite Assoziation wiedergegründete whk in der Sexualpolitik. Zwar ist der Paragraph 175 Mitte der neunziger Jahre gefallen, doch wurde er durch ein neues, auf den ersten Blick unverdächtiger erscheinendes Sondergesetz ersetzt: die Homo-Ehe. Doch während die einen heiraten, erleben die, die sich nicht dem Muster der staatlich gesegneten treuen Zweierkiste unterordnen wollen, eine verstärkte Krimimialisierung von Schwulentreffpunkten mit Razzien, Kontrollen und Einschüchterungen, so wie in den fünfziger Jahren unter Adenauer.
Manche bayrische Behörde sehnt inzwischen schon wieder ganz unverblümt NS-Recht zurück, um allerlei vermeintlich triebgestörte "Sexverbrecher" dingfest machen zu können schärfere Gesetze sollen mal wieder her. Das hat in Deutschland bekanntlich Tradition. Man muß nur an die wenigen noch lebenden schwulen Opfer des Paragraphen 175 erinnern, die mit dem Rosa Winkel am Revers ins KZ gesperrt wurden. Wer überlebte, den speiste die Bundesregierung jüngst mit einer zynischen Entschuldigungserklärung ab: Finanzielle Wiedergutmachung für die Opfer gibt's keine mehr, so Rot-Grün, ein schlichtes Sorry muß reichen. Bislang hat sich darüber niemand empört.
Aber auch auf der linken Seite des Parlaments erlebt gelegentlich man Überraschungen. So stimmte die PDS-Fraktion erst im letzten Herbst gegen ihren eigenen (!) Antrag zur Entkriminalisierung der Prostitution und schlug sich auf die Seite der Regierungsparteien. Herausgekommen ist ein windelweicher Kompromiß, der zeigt, was von Parteien auf dem Weg zur Regierungsbeteiligung erwartet werden kann nicht viel.
Man muß sich also selber kümmern. Die SDAJ hat das längst begriffen. Unter dem Punkt "Recht auf selbstbestimmtes Leben" heißt es im Zukunftspapier: "Selbstbestimmtes Leben heißt auch selbstbestimmte Sexualität. Wir lehnen die bürgerliche Moral und das überkommene Idealbild der bürgerlichen Familie als gesellschaftliche Norm ab. Wir wollen in einer Gesellschaft leben in der homosexuelle Beziehungen gleichberechtigt neben heterosexuellen bestehen und die von vielfältigen Formen des Zusammenlebens geprägt ist."
In diesem Sinne wünschen wir Euch für Euren Kongreß viel Erfolg und allzeit Spaß über und unter selbstbestimmten Bettdecken.
Markus Bernhard
whk RuhrDirk Ruder
whk Rheinland