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An die TeilnehmerInnen des 16. Verbandstages des
Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland e.V.
im Bürgerzentrum Deutz
Tempelstraße 41-43
50679 Köln
Berlin, 17. März 2004Aktion Finanzamt: Traut Euch!
Grußwort an den 16. Verbandstag des LSVDLiebe Mitglieder des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland,
anläßlich Eures 16. Verbandstages übermittelt Euch die AG Schwulenpolitik des whk solidarische Grüße.
Ein Wochenende lang werdet Ihr in Köln über homopolitische Fragen und über die Zukunft Eures Verbandes debattieren. Der Ort scheint in diesem Jahr besonders gut gewählt: Köln verfügt nicht nur über eine lebendige Lesben- und Schwulenszene, die gern zu allerlei sexuellen Ausschweifungen einlädt, es hat auch eine lange Tradition des demokratischen Aufbruchs. Sich in diese Tradition zu stellen, ist zugleich Ehre und Verpflichtung für Euren noch in der DDR gegründeten Bürgerrechtsverband.
Für den LSVD war das vergangene Jahr ein weniger erfolgreiches. Presseberichten der letzten Monate ist zu entnehmen, daß Eure wichtigsten politischen Projekte bis auf weiteres auf Eis liegen. So läßt Euch die Bundesregierung nicht nur bei Eurem Eintreten für eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung zur Kollektivierung individueller Entschädigungsansprüche der Rosa-Winkel-Häftlinge zugunsten nachgeborener Nicht-Verfolgter im Regen stehen. An einem europaweiten Antidiskriminierungsgesetz ist ihr ebenfalls kein sonderliches Engagement nachzusagen. Sie zeigt auch keine Lust, über Verbesserungen der von Euch verfochtenen Eingetragenen Partnerschaft zu verhandeln, nachdem sie Euren Verband zunächst als maßgeblichen Verhandlungspartner bei dem wichtigen Gesetzesvorhaben mißbraucht hatte. Spät und deswegen um so schmerzlicher habt Ihr lernen müssen, daß die Eingetragene Lebenspartnerschaft dem Staat vor allem dazu dient, seine Verantwortung gegenüber dem einzelnen Bürger finanziell auf die Lebenspartner abzuwälzen. Daß der Staat, Gleichstellung heuchelnd, in Eure Taschen greift, solltet Ihr ebenso wenig hinnehmen wie das Aufzwingen von Anhängigkeitsverhältnissen nach Art der Hausfrauen-Ehe. Als langgediente Aktivistinnen und Aktivisten wißt Ihr es so gut wie wir: Homosexuelle Emanzipation muß als erstes immer für die Freiheit des Einzelnen eintreten.
Doch trotz emsiger Lobbyarbeit des LSVD teilen politische Entscheidungsträger wie SPD-Innenminister Otto Schily in Gleichstellungsfragen immer ungenierter die Position der Konservativen. Für letztere sprach im vergangenen Sommer auch der Kölner Kardinal Joachim Meisner, als er im Namen der katholischen Kirche verlautbarte, Europa müsse das Problem der Homosexualität "ausschwitzen". Daß seitens der Kirche eine Entschuldigung bis heute ausblieb, wundert Euch sicher genauso wenig wie uns: Jener deutschen Diktatur, die eine Politik des "Ausschwitzens" bestimmter Bevölkerungsteile tatsächlich umsetzte, hatten Papst und Klerus schon zwischen 1933 und 1945 ihren Segen nicht verweigert. Mit Genugtuung nahm das whk daher zur Kenntnis, daß der LSVD auf die abscheulichen Äußerungen Meisners mit einer Strafanzeige wegen Volksverhetzung reagierte. Seid dessen versichert, daß Ihr im whk stets einen Verbündeten haben werdet, wenn es darum geht, jene von der Kanzel zu holen, die verbal schon wieder Holz für ihre Scheiterhaufen sammeln.
Als Bundestags-Lobbyist hat der LSVD die Vorgänge in unserem Land mit wachen Augen verfolgt, zumal einige prominente Mitglieder als Parlamentarischer Geschäftsführer, gesundheitspolitische Sprecherin oder Referent der Koalitionsfraktionen maßgeblich daran mitwirken. Ihr wißt, daß die von Rot-Grün als "Agenda 2010" durchgesetzte Demolierung des Sozialsystems weite Teile der Bevölkerung trifft. Die sogenannte Gesundheitsreform stürzt nicht nur Eure aidskranken und HIV-infizierten Freunde ins Elend, die vielfach schon jetzt Medikamente und Praxisgebühren nicht mehr bezahlen können. Das whk bestärkt Euch darin, aus diesem Wissen in Zukunft praktische Konsequenzen für die politische Arbeit zu ziehen.
Praktische Konsequenzen ziehen: diese Parole haben einzelne LSVD-Mitglieder in Vorfeld Eures Verbandstages für die anstehenden Vorstandswahlen ausgegeben. Das whk teilt die Besorgnis, die Berichte über finanzielle Unregelmäßigkeiten beim LSVD immer wieder in der Szene auslösen. Die Insolvenz des nordrhein-westfälischen Landesverbandes markierte einen Tiefpunkt in der fast fünfzehnjährigen Geschichte Eures Verbands. Wir gehen jedoch davon aus, daß Ihr in Köln aus den keineswegs eingestellten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen drei Eurer Vorstandsmitglieder wegen Subventionsbetrugs Konsequenzen und im Sinne weiterer Demokratisierung und Transparenz einen Schlußstrich unter die jahrelange Finanzkungelei ziehen werdet. An diesen Entscheidungen hängt nicht allein die weitere ministerielle Subventionierung, sondern vor allem die politische Glaubwürdigkeit Eures Verbandes in einer Szene, die noch immer sehr genau registriert, wenn ein Vorstand plötzlich und unerwartet eine engagierte Geschäftsführerin entläßt und ein Finanz-Controller das Handtuch wirft.
In diesem Sinne wünscht Euch die AG Schwulenpolitik des whk einen spannenden, aufregenden 16. Verbandstag und den Mut zu einer Aktion Finanzamt: Traut Euch!
P.S.: Wegen der großen Resonanz im letzten Jahr stiftet die AG Schwulenpolitik des whk anläßlich Eures Verbandstags abermals exklusive LSVD-Abos der sexualpolitischen Zeitschrift "Gigi". Wer unter Angabe seiner Mitgliedsnummer ein "Gigi"-Jahresabo (6 Hefte zu 15 Euro) abschließt, erhält das Heft Nr. 27 zum Schwerpunkt "Der LSVD, die Macht und das Geld" gratis dazu. Näheres dazu gibt es unter www.gigi-online.de.