Am 9. Juni richtet Gigi eine Anfrage an Berlins Justizsenatorin Karin
Schubert, die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin-Tiergarten sowie
den Pressesprecher des Berliner Polizeipräsidenten zu einem Polizeieinsatz
am 6. Juni 2003. Dabei sollen unter dem Verdacht schweren sexuellen
Mißbrauchs in und außerhalb der Wohnung insgesamt fünf von
sechs angetroffenen erwachsenen Personen festgenommen worden sein. Nach den
unserer Redaktion vorliegenden Informationen kam es zu Gewaltanwendungen durch
beteiligte Beamte, woraufhin mindestens einer der dort Angetroffenen erhebliche
Verletzungen erlitten haben soll, darunter einen Nasenbeinbruch, Blutergüsse
im Gesicht (linkes Auge), Wunden im Mundraum sowie einen hohen Blutverlust.
Zwanzig
Fragen (vgl. www.whk.de)
stellt Gigi, z.B.: Durch welche Vorermittlungsergebnisse wurde
der Einsatz gerechtfertigt? Können Sie bestätigen, daß während
der Ermittlungen sowie im unmittelbaren Vorfeld des Zugriffs verdeckte Ermittler
zum Einsatz kamen? Wie viele Personen wurden insgesamt in der Wohnung angetroffen?
Wie viele Kinder waren darunter und in welchem Alter? Sollte der Zugriff durch
ein ganz oder teilweise vermummtes Sondereinsatzkommando (SEK) erfolgt sein:
Welche Informationen führten zur Entscheidung für diese Zugriffsform?
Haben die in der Wohnung angetroffenen Personen oder einzelne von ihnen sich
dem Zugriff physisch widersetzt? Wurde seitens der Beamten versucht, bei den
Verdächtigten ... DNA-Tests zu nehmen? Haben während des Zugriffs
... Verhöre einzelner oder aller Personen (inklusive angetroffener Minderjähriger)
stattgefunden? Wenn ja, wurde den Anwesenden zuvor die Möglichkeit gegeben,
sich um Rechtsbeistand zu bemühen? Wurden einzelnen oder allen in der
Wohnung angetroffenen Personen körperliche Verletzungen zugefügt?
Wurden im Vorfeld des Zugriffs die möglichen Folgen physischer Gewaltanwendung
gegen den unter Hämophilie leidenden Herrn Udo L. in Betracht gezogen?
Welcher Sachverhalt ging der durch Röntgenaufnahmen und ein Behandlungsprotokoll
in der Charité belegten Körperverletzung des Herrn L. voraus?
Können Sie bestätigen, daß Herrn L. Handschellen angelegt
wurden? Entspricht es den Tatsachen, daß Herrn L.s Gesicht von Beamten
mehrmals auf eine infolge des Einsatzes blutverschmierte Matratze gedrückt
wurde? War beim Einsatz ein Notarzt zugegen? Wurden im Vorfeld des Zugriffes
Ermittlungen über die psychischen Folgen eines Einsatzes in dieser Form
auf eventuell anzutreffende Kinder oder Jugendliche angestellt? Was geschah
beim Einsatz mit dem Jungen, wurde er körperlich verletzt? Wie reagierte
er auf den Polizeieinsatz bzw. wie konnte es zu den uns berichteten auffälligen
psychischen Reaktionen des Jungen kommen? Wie erklärt sich die nach unseren
Informationen mehrstündige Dauer des Zugriffs? Wonach genau wurde aufgrund
welchen konkreten Verdachts [in der Wohnung Gigi] gesucht und welche
Gegenstände bzw. Dokumente wurden in welcher Anzahl sichergestellt? Stimmt
es, daß beim Einsatz Einrichtungsgegenstände (z.B. eine Schrankwand)
erheblich beschädigt bzw. zerstört wurden?
Als Gigi
am 9. Juli an die ausstehende Antwort erinnert, mailt Uwe Kozelnik, Sprecher
des Polizeipräsidenten, leider hat uns Ihre Anfrage vom 9. Juni
nicht erreicht. Ein Mitarbeiter, der sich vornehmlich mit den technischen
Dingen befaßt, sprach von technischen Problemen im E-Mail-Verkehr ...
Nicht erreicht? Dann war wohl auch die Eingangsbestätigung vom 9. Juni
ein technisches Problem im E-Mail-Verkehr? Tags darauf bedauert
Kozelnik, zu dem Einsatz in der Leipziger Straße existiert bereits
ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren. Daher kann ich Ihnen keine
Auskünfte erteilen.
Justizpressesprecher Retzlaff teilt am 9. Juli dem Sehr geehrten Herrn Stedefeldt mit, er habe bereits vor drei Wochen ein E-Mail geschickt, auf das von Ihrer Seite keine Reaktion erfolgte ... Ich stelle Ihnen nochmals anheim, sich wie alle anderen Journalisten auch telefonisch bei der Justizpressestelle zu melden. Stedefeldt dankt und erklärt: Leider ist die von Ihnen erwähnte E-Mail von vor drei Wochen bei uns nicht auffindbar. Ein wenig ungewöhnlich finde ich unterdessen, daß sich alle anderen Journalisten auch telefonisch bei Ihnen zu melden haben. Zweckdienlicher und juristisch verläßlicher ist für einen seriös arbeitenden Journalisten stets die Schriftform, weshalb unsere Redaktion ihre Anfrage sehr bewußt schriftlich und detailliert eingereicht hat.
Aber Retzlaff
ist Pressesprecher: Ihre für einen Journalisten ungewöhnliche
Scheu vor einem Telefongespräch erstaunt mich ... Schriftliche Auskünfte
erteile ich nur, wenn es die Besonderheit einer Anfrage erfordert. Das ist
bei ihrem Anliegen nicht der Fall. Wer zu lästig ist, wird notfalls
angepöbelt: Zweckdienlicher und juristisch verläßlicher
wie Sie meinen wäre eine schriftliche Auskunft hier schon
deshalb nicht gewesen, weil Sie offenbar Ihr E-Mail-Konto nicht richtig kontrollieren.
Stedefeldt bittet sehr höflich, Form und Anstand zu
wahren, und erinnert den Justizsprecher an geltendes Recht: Die
Behörden haben gemäß Berliner Pressegesetz eine Auskunftspflicht
... Die Besonderheit einer Anfrage, die Sie in Ihrer Antwort bestreiten,
liegt für mich nach den vorliegenden Informationen zum einen in erheblichen
gesundheitlichen Folgen für mindestens einen der Betroffenen durch eine
anscheinend keine Besonderheit darstellende Stürmung und Durchsuchung
einer Wohnung, deren mehrstündiger Dauer und dem Verdacht des sexuellen
Kindesmißbrauchs begründet. Davon ausgehend, daß Sie ausgebildeter
Medienfachmann sind: Daß man 20 Fragen dazu ... nicht am Telefon beantworten
lassen kann und Sie diese wohl kaum im Detail ad hoc am Telefon beantworten
könnten, dürfte uns beiden genauso einleuchten wie dem Laien, der
noch nie etwas von sauberer Recherche gehört hat. Ich wollte und will
mit Ihnen auch kein Telefoninterview führen, das ist ein anderes journalistisches
Genre ... Wir betreiben keinen Boulevardjournalismus und verwenden nur belegbare,
zitierfähige Aussagen. Vier Tage dauerts bis zu Retzlaffs
letzter Auskunft, meinem E-Mail vom 10. 7. habe ich nichts hinzuzufügen.
Wenn Sie Ihre Anfrage aufrecht erhalten wollen, melden Sie sich telefonisch
in der Justizpressestelle.
Es mag Journalisten geben, die sich erpressen lassen. Solchen, die ihren Beruf ernst nehmen, liefert dieser Schriftwechsel genügend Indizien dafür, daß bei diesem Polizeieinsatz manches nicht wie geplant lief: E-Mails verschwinden, Auskunftsfristen verstreichen, jede schriftliche Information wird abgelehnt, die Seriosität der Redaktion infrage gestellt. Wir überlassen es Ihnen, zu schlußfolgern, wovor Polizei und Justiz Angst haben könnten
Eike Stedefeldt