Dokumentation
Fragenkatalog des whk betreffend die novellierten Richtlinien zur Assistierten Reproduktion
Berlin, 25. 1. 1999
Fragenkatalog des whkUnter der Überschrift "Was ist assistierte Reproduktion?" wird diese definiert als "ärztliche Hilfe zur Erfüllung des Kinderwunsches eines Paares ..." Diese Einschränkung auf eine bestimmte Lebensweise wird in der Folge noch gesteigert, indem das Vorliegen einer Ehe bzw. die glaubhaft gemachte Existenz der potentiellen Eltern in einer stabilen, "auf Dauer angelegten" (heterosexuellen) Partnerschaft zur notwendigen Voraussetzung assistierter Reproduktion erhoben wird.
1. Frage: Inwieweit sieht die Bundesärztekammer darin einen Widerspruch zur Vielfalt der in unserer Gesellschaft existierenden Lebensformen? Hält die Bundesärztekammer die bürgerliche Ehe und/oder die traditionelle Kleinfamilie noch für die alleinige bzw. vor allen anderen zu propagierende "Keimzelle der Gesellschaft"? Hält die Bundesärztekammer den in Artikel 6 GG fixierten besonderen Schutz der Ehe für mit der Lebenswirklichkeit noch vereinbar? Inwiefern sieht die Bun-desärztekammer diesen Passus und ihre daraus folgende Richtlinie als im Widerspruch zu Artikel 1 GG, der von der Gleichheit aller Menschen und nicht aller verehelichten Menschen spricht?
Im Abschnitt 3 der Richtlinien definiert die Bundesärztekammer "Zulassungsbedingungen für die as-sistierte Reproduktion". Unter Punkt 3.1. heißt es: "Kein Arzt kann gegen sein Gewissen verpflichtet werden, an einer assistierten Reproduktion mitzuwirken."
2. Frage: Trifft es zu, daß ein Arzt oder eine Ärztin im Umkehrverfahren bei Androhung von Sanktionen verpflichtet ist, die assistierte Reproduktion zu verweigern, auch wenn diese Verweigerung gegen sein/ihr Gewissen steht? Dürfte zum Beispiel eine Ärztin, die einer wegen sexueller Mißbrauchserfahrungen sich dem heterosexuellen Intimkontakt verweigernden Frau medizinische Hilfe zur Reproduktion leisten wollte, sich den Richtlinien der Bundesärztekammer zugunsten ihres eigenen Gewissens entziehen, ohne berufsrechtliche Sanktionen (4.5.) gewärtigen zu müssen?
Punkt 3.2.1.3 legt vor einer ICSI-Therapie "eine genaue Anamnese, insbesondere eine Stammbaumanalyse beider Partner (unter anderem Fehlgeburten, Totgeburten, Personen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen, andere Familienmitglieder mit Fertilitätsstörungen)", fest. "Ergeben sich Hinweise auf Erkrankungen, die genetisch bedingt sein könnten, so muß eine Beratung durch einen Humangenetiker erfolgen."
3. Frage: Niemand in unserem Lande ist verpflichtet, vor der Zeugung von Kindern "eine genaue Anamnese, insbesondere eine Stammbaumanalyse beider Partner" durchführen zu lassen oder sich zuvor in eine humangenetische Beratungsstelle zu begeben. Mit welcher Begründung erhebt dies die Bundesärztekammer zu notwendigen Voraussetzung einer lediglich technisch abweichenden Zeugungsmethode und wie lautet das Ziel der Beratung? Wie weit reicht die Souveränität der potentiellen Eltern, sich trotz eventueller humangenetischer Bedenken für das Kind zu entscheiden, unter der Prämisse, daß Richtlinie wie juristische Praxis den assistierenden Arzt praktisch zum voll verantwortlichen und haftbaren Co-Vater (resp. die Ärztin zur Co-Mutter) erheben, der folglich bestrebt sein wird, sein "Berufsrisiko" zu minimieren? Mit welcher Argumentation tritt die Bundesärztekammer absehbaren Vorwürfen entgegen, sie eröffne bzw. begründe mit ihrer Richt-linie vor allem für ihre Berufsgruppe die "Verhinderung erbkranken Nachwuchses"?
Punkt 3.2.3 definiert eine Vielzahl "elterlicher Voraussetzungen". Demnach soll der Arzt zunächst "im Rahmen einer Unfruchtbarkeitsbehandlung darauf hinwirken, daß dem Paar eine kompetente Beratung über ... die für das Wohl des Kindes bedeutsamen Voraussetzungen zuteil wird."
4. Frage: Welche "für das Wohl des Kindes bedeutsamen Voraussetzungen" sind hiermit gemeint? Handelt es sich, da medizinische und rechtliche weiter oben erläutert wurden, um soziale Voraussetzungen? Falls ja, inwieweit hält die Bundesärztekammer diese für gerechtfertigt, da andere Menschen ohne zwingende vorherige Beratung über "für das Wohl des Kindes bedeutsame Voraussetzungen" Kinder zeugen dürfen?
In dem Punkt heißt es weiter: "Grundsätzlich darf nur Samen des Ehepartners Verwendung finden (homologes System). Die Anwendung dieser Methoden bei nicht verheirateten Paaren in stabiler Partnerschaft darf nur nach vorheriger Beratung durch die bei der Ärztekammer eingerichtete Kommission durchgeführt werden."
5. Frage: Erscheint es der Bundesärztekammer nicht als Entwürdigung und Entmündigung der Betroffenen, allein entscheiden zu wollen, welche Menschen sich fortpflanzen dürfen und welche nicht? Wurde bei Ausarbeitung der Richtlinien erörtert, ob mit dem Kriterium des "Familienstandes" nicht eine verschärfte Form der "sozialen Indikation" installiert wird?
Überdies heißt es: "Die Anwendung der Methoden bei alleinstehenden Frauen und in gleichgeschlechtlichen Beziehungen ist nicht zulässig."
6. Frage: Wie tritt die Bundesärztekammer dem naheliegenden Verdacht entgegen, die im Anhang mit der Passage "Im Hinblick auf das Kindeswohl verbietet es sich, einer alleinstehenden Frau oder gleichgeschlechtlichen Paaren einen Kinderwunsch zu erfüllen" noch überbotene Formulierung sei sexistisch und homophob? Verknüpft sie mit der Vokabel "verbieten" ein moralisches Werturteil über (alleinstehende) Frauen, Lesben und Schwule und ihre Qualifikation zur verantwortungsvollen Elternschaft? Verfügt die Bundesärztekammer über eine Begründung dafür, warum das Kindeswohl durch alleinstehende und/oder lesbische Mütter oder schwule Väter beeinträchtigt werden sollte? Auf welche sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse beruft sie sich diesbezüglich?
Schließlich heißt es zu den "elterlichen Voraussetzungen": "Sollen bei der Anwendung dieser Me-thoden fremde Samenzellen verwendet werden, bedarf dies eines zustimmenden Votums der bei der Ärztekammer eingerichteten Kommission. Die Anwendung der Methoden ist unzulässig, wenn erkennbar ist, daß die Frau, bei der die Schwangerschaft herbeigeführt werden soll, ihr Kind nach der Geburt auf Dauer Dritten überlassen will (Ersatzmutterschaft)."
7. Frage: Auf welche Weise soll letzteres von besagter Kommission erkannt werden? Hält die Bun-desärztekammer es analog dazu auch für "erkennbar", daß die künftige Mutter das Kind Miß-handlungen auszusetzen oder es dem Schulbesuch zu entziehen gedenkt?
Unter Punkt 3.4. ("Aufklärung und Einwilligung") ist formuliert: "Die betroffenen Ehepaare müssen vor Beginn der Behandlung über den vorgesehenen Eingriff ... und Kosten informiert werden."
8. Frage: Ist dem zu entnehmen, daß die Krankenkassen die Maßnahmen zur assistierten Repro-duktion nicht finanzieren? Sofern sie dies tun, mit welchem Ziel sollten dann die künftigen Eltern über die Kosten informiert werden?
Im Anhang heißt es unter Absatz I. "Vermeidung sozialer und rechtlicher Nachteile für ein durch IVF gezeugtes Kind", Punkt 1, es sei im Rahmen der Anwendung der genannten Methoden "sicherzustellen, daß dem betroffenen Ehepaar neben der ärztlich-somatischen Behandlung eine psycho-somatische und psychotherapeutische Behandlung eröffnet wird", welche nicht zuletzt notwendig sei, "um auch soziale und rechtliche Nachteile für ein künftiges Kind zu vermeiden."
9. Frage: Hält es die Bundesärztekammer für ihre originäre Aufgabe, soziale und rechtliche Nachteile für ein künftiges Kind vor dessen Zeugung auszuschließen, da hier im Gegensatz zur natürlichen Variante "zufällig" Ärzte Zugriff auf den Zeugungsakt haben? Wie gedenkt sie den Vorwurf zu entkräften, sie verhalte sich anmaßend gegenüber den potentiellen Eltern und nehme ohne Not den Staat aus der Verantwortung, dafür zu sorgen, daß jedes Kind ungeachtet seiner Herkunft, Abstammung etc. ohne soziale und rechtliche Nachteile aufwachsen kann?
Weiter formuliert Punkt 1: "Gelangt der Arzt aufgrund seiner Gespräche mit dem Ehepartner und konsiliarischer Beratung mit psychotherapeutisch tätigen Fachkollegen oder Psychologen insbesondere in Fällen, in denen ein Kinderwunsch geäußert wird, um bestehende Probleme in einer Partnerschaft zu überwinden zu der Überzeugung, daß sich durch die Geburt eines Kindes diese Probleme der Partnerschaft nicht bewältigen lassen, so soll er keine der aufgeführten Behandlungsmethoden der Fortpflanzungsmedizin anwenden."
10. Frage: Erscheint der Bundesärztekammer die Frage nach der Motivation des Kinderwunsches als ethisch-moralisch zulässiger Eingriff in die Privatsphäre der Patienten? Zog sie bei der Formulierung dieses Passus' in Erwägung, daß die Frage objektiv unlösbar, daß heißt, ihre Beantwortung mit einer hohen Fehlerquote behaftet sein muß? Ist die Interpretation richtig, daß die Bereitschaft der Kommission zur Gewährung assistierter Reproduktion steigt, sofern die Geburt eines Kindes die Probleme einer Partnerschaft bewältigen könnte? Wie verhält sich die Bundesärztekammer zu der hiermit implizierten Degradierung des noch ungezeugten Kindes zum Werkzeug im Dienste des Erhalts einer politisch erwünschten Lebensform (hier der Ehe)?
Dem whk ist bewußt, daß die Bundesärztekammer im Gebrauch ihrer medizinischen Richtlinienkompetenz von der bestehenden Gesetzeslage insbesondere dem Fehlen der abstammungsrechtlichen Gleichstellung von Kindern sowie der Tatsache, daß das Anfechtungsrecht des "Vaters" bei der Anwendung der assistierten Reproduktion gesetzlich nicht ausgeschlossen wurde eingeschränkt wird. Dennoch erscheinen uns manche Bezugnahmen und Verweise aus dem Anhang als recht unkritisch.
Dies betrifft zum Beispiel die Passage im Punkt I. 4. des Anhangs "Das Anfechtungsrecht des Kin-des dient der Sicherung des Rechtsanspruches des Kindes auf Kenntnis seiner genetischen Herkunft. Aber auch wenn die Ehelichkeit beziehungsweise die Vaterschaft nicht angefochten wird, hat das durch heterologe Insemination gezeugte Kind einen Anspruch auf Bekanntgabe seines biologischen Vaters, da die biologische Vaterschaft, zum Beispiel im Eingehen einer Ehe, im Hinblick auf seine Gesundheit und die seiner Nachkommenschaft von wesentlicher Bedeutung ist."Noch einmal stellt sich uns hier die 3. Frage: Wie will die Bundesärztekammer dem Verdacht entgegentreten, sie mache sich zur Handlangerin der "Verhinderung erbkranken Nachwuchses"?
Daß die Bundesärztekammer unter demselben Punkt das zustimmende Votum ihrer zuständigen Kommission zur assistierten Reproduktion davon abhängig macht, daß "die Verwendung eines Mischspermas ausgeschlossen ist, da durch sie die spätere Identifikation des biologischen Vaters erschwert würde", führt unmittelbar zur
11. Frage: Wie verhält sich die Bundesärztekammer zu dem Umstand, daß die Möglichkeit der "späteren Identifikation des biologischen Vaters" auch als Teil eines neoliberalen, rein staatsöko-nomistischen Konzepts aufgefaßt werden kann, sprich: der auf völkischen Prinzipien beruhenden Subsidiarität des Blutes?
Ebenfalls zum Kriterium der Zustimmung erhebt die Bundesärztekammer unter Punkt I. 4., daß "bei nicht verheirateten Paaren zuverlässig festgestellt werden kann, daß diese in einer auf Dauer angelegten Partnerschaft leben".
12. Frage: Anhand welcher Tatsachen und Ermittlungen, unter Mitarbeit welcher staatlichen Stellen soll eine Kommission diesen Fakt mit hinreichender Sicherheit feststellen zumal unter Verwendung des in keiner Weise justitiablen Begriffes "auf Dauer angelegte Partnerschaft"?
Ferner beruft sich die Richtlinie im Anhang unter Punkt I. 5. auf das zum 1. Januar 1991 in Kraft ge-tretene Embryonenschutzgesetz, mit dem sowohl die Eizellenspende als auch die Ersatzmutterschaft gesetzlich verboten worden sind. "Der Gesetzgeber", so wird kommentiert, "wollte durch diese Verbotsvorschrift verhindern, daß es zu einer sogenannten gespaltenen Mutterschaft kommt und damit die austragende und die genetische Mutter nicht mehr identisch sind." Dem liege "die Erkenntnis zugrunde, daß das Kind in seiner gesamten körperlichen und seelischen Entwicklung sowohl durch die von der genetischen Mutter stammenden Erbanlagen wie auch durch die enge während der Schwangerschaft bestehende Beziehung zwischen ihm und der austragenden Mutter entscheidend geprägt wird".
Die Bundesärztekammer nimmt nun dieses Verbot der "gespaltenen Mutterschaft" positiv auf und akzeptiert die daraus resultierende Befürchtung "besonderer Schwierigkeiten bei der Selbstfindung des Kindes und negative Auswirkungen auf seine seelische Entwicklung".13. Frage: Wie erklärt sich die Bundesärztekammer angesichts dieser "besonderen Schwierigkeiten bei der Selbstfindung des Kindes und negativen Auswirkungen auf seine seelische Entwicklung" die Tatsache, daß der Gesetzgeber sich unter derselben Berufung auf das Kindeswohl vorbehält, ohne ärztliches Zutun bei der Reproduktion gezeugte, geborene Kinder nach Gutdünken ihren biologischen Eltern zu entziehen, sie in Heimen oder ihm geeignet erscheinenden Ersatzfamilien unterzubringen, er Adoptionen aus "sozialer Indikation" heraus zuläßt oder es Eltern erlaubt, ihre Kinder auf Internatsschulen zu schicken?
Leider ist es dem whk unmöglich, die Richtlinie der Bundesärztekammer zur assistierten Reproduktion lösgelöst von der aktuellen Debatte um das Ausländerrecht zu bewerten. Hierzu die
14. Frage: In welcher Weise gedenkt die Bundesärztekammer auszuschließen, daß sich bei der entsprechend der vorliegenden Richtlinie letztlich subjektiven Entscheidung über den Zugang zur assistierten Reproduktion nicht latente rassistische Vorurteile verwirklichen, die zweifellos auch in der Ärzteschaft vorhanden sind? Teilt die Bundesärztekammer die Auffassung, daß es die Richtlinie in ihrer jetzigen Fassung ohne weiteres erlaubt, die spätere Diskriminierung eines zu zeugenden Kindes aufgrund der Hautfarbe als im Widerspruch zum Kindeswohl anzusehen? Wer garantiert nach Ansicht der Bundesärztekammer dafür bzw. wer kann nach ihrer Meinung überhaupt dafür garantieren , daß unter Berufung auf diese Richtlinie nicht medizinische Argumente vorgeschoben werden, um rassistische, sexistische, homophobe, sozialdarwinistische oder sonstige inhumane Auffassungen umzusetzen?