Dokumentation
Auf den von whk-Freundin Ortwin Passon an die Adressaten weitergeleiteten Offenen Brief des whk reagierte mit zweimonatiger Verspätung (Poststempel: 11. 4. 2002) auch Alfred Hartenbach, Rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Hartenbachs Ausführungen sind vor allem in zwei Punkten infam: Zum einen rechtfertigt er die Nicht-Entschädigung mit der zynischen Behauptung, den Betroffenen ginge es nicht "hauptsächlich" um materielle Wiedergutmachung, zum anderen legitimiert er den §175 als solchen und die NS-Fassung im besonderen damit, die nach NS-Fassung in der BRD ergangenen Urteile seien rechtsstaatlich zustandegekommen und nicht im KZ, sondern im ordentlichen Strafvollzug vollstreckt worden.
Alfred Hartenbach
Mitglied des Deutschen Bundestages
Rechtspolitischer Sprecher der SPD-FraktionBerlin, 5. April 2002
Rehabilitierung/Entschädigung von Wehrmachtsdeserteuren und Opfern des § 175
Sehr geehrter Herr Passon,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 8. Februar 2002.
Mit unserem Gesetzentwurf zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhGÄndG, Drucksache 14/8276) verfolgen wir in erster Linie nur ein Ziel: die Rehabilitierung von nach dem Militärstrafgesetzbuch verurteilten Personen und den von den Nationalsozialisten mit besonderem Hass verfolgten Homosexuellen. Dieses Ziel wird uns mit diesem Gesetz endlich gelingen. Wir haben von vielen Seiten viel Zustimmung erfahren, am meisten jedoch von den Betroffenen selbst, die hauptsächlich ihre Rehabilitierung und die Wiederherstellung ihres Rufes in der Öffentlichkeit forderten. Zu diesem Gesetzentwurf wird am 24. April 2002 vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages eine öffentliche Sachverständigenanhörung durchgeführt.
Die Bestrafung homosexueller Betätigung als solcher in einem nach den strafrechtlichen Vorschriften durchgeführten Strafverfahren vor 1933 und nach 1945 ist weder NS-Unrecht noch rechtsstaatswidrig. Das Verbot galt bis zur ersten Entschärfung 1969 bzw. bis zur weiteren Entschärfung durch das 4. Strafrechtsreformgesetz von 1973 und zur endgültigen Aufhebung 1994 auch in der Bundesrepublik Deutschland. Dies war mit dem Grundgesetz vereinbar, wie es auch das Bundesverfassungsgericht in der von Ihnen zitierten Entscheidung vom 10. Mai 1957 entschieden hat. Strafen, die in einem nach den gesetzlichen Vorschriften durchgeführten Strafverfahren in der Bundesrepublik Deutschland verhängt und im regulären Strafvollzug vollstreckt wurden dies ist ein Unterschied zur Rechtsprechung des Nationalsozialismus, können nicht rückwirkend aufgehoben oder die Verurteilten entschädigt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Alfred Hartenbach